Israel singt ein Brunnenlied
4. Mose 21,16-20; 1. Mose 26,19-22
Nein, "Am Brunnen vor dem Tore..." stammt nicht aus der Bibel, sondern ist ein deutsches Volkslied. Wohl aber steht ein anderes Brunnenlied in der Heiligen Schrift. "Brunnen, steigt auf", lautet sein Text, "das ist der Brunnen, den die Fürsten gegraben haben…" Warum ein Brunnen so viel Sangesfreude auslöst? Erstens, weil Singen die harte Arbeit des Brunnengrabens erleichterte. Zweitens, weil das Volk Israel, geschwächt durch die jahrelange Wanderung durch die Wüste, endlich seinen Durst stillen konnte.
Da im trockenen Nahen Osten Wasser ein hohes Gut ist, kam es oft zum Streit um Brunnen. Zum Beispiel in Gerar. Dort stritt Stammvater Isaak mit ansässigen Hirten; die Brunnen, die sie gruben, heißen "Zank" und "Streit". Und als sie sich vertragen hatten, nannten sie einen dritten Brunnen "Weiter Raum".
Zitat: "Brunnen, steige auf!"
Die Brunnen des Lebens
Vorzüglich eignet sich das Bild des Brunnens, um Lebensweisheiten einprägsam zu machen. Das Buch der Sprüche Salomos enthält eine Sammlung von Erfahrungen und Ratschlägen für ein gottgefälliges glückliches Leben. Auch der Brunnen-Metaphorik bedient es sich. Die Klugheit wird als ein Brunnen dargestellt, aus dem das Leben sprudelt. Aber auch der "Mund des Gerechten" sei einem Brunnen vergleichbar, weil aus ihm lebensdienliche Worte strömen.
Zitat: "Klugheit ist ein Brunnen des Lebens."
Ein Kuss am Brunnen
Doch, auch das gibt es: Brunnen als romantischer Hintergrund für ergreifende Liebes-Szenen. Stammvater Jakob erlebte das: Auf einer Reise zu seinem Onkel Laban, der im fernen Mesopotamien lebte, ruht er an einem Brunnen aus. In der Ferne sieht er eine Schafhirtin kommen, "schön von Gestalt und von Angesicht". Ganz Gentleman, wälzt Jakob für sie den Stein vom Brunnenloch, damit die Tiere zu trinken bekommen. Dann küsst er die Frau und beginnt zu weinen. Es sind Freudentränen. Denn die Hirtin ist Rahel, seine Cousine. Doch in die verwandtschaftliche Zuneigung mischen sich andere Gefühle. Sieben Jahre später heiraten Jakob und Rahel.
Zitat: "Als Jakob aber Rahel sah, trat er hinzu und wälzte den Stein von dem Loch des Brunnens."
Das Brunnenversteck
Dieses Versteckspiel hatte einen ernsten Hintergrund: Auf der Flucht vor Verfolgern kommen Jonatan, der Freund König Davids, und dessen Mitstreiter Ahimaaz in das Haus des Bahurim; geistesgegenwärtig lässt der die beiden Flüchtenden in einen Brunnen steigen. Die Frau Bahurims legt Decken über das Brunnenloch und schüttet Körner darauf. Als die Verfolger kurz danach im Haus stehen, entdecken sie das perfekte Versteck nicht und ziehen weiter. Jonatan und Ahimaaz kommen wieder ans Tageslicht und können ihre Aufträge erfüllen.
Zitat: "Die Frau nahm eine Decke und breitete sie über das Brunnenloch, sodass man nichts merkte."
Der Brunnen der Frau
1. Mose 20,18; Jesaja 51,1; Markus 5,29
Auch als Synonym für die Gebärmutter dient der Brunnen. Schaut den Brunnenschacht an, "aus dem ihr gegraben seid", beschreibt der Prophet Jesaja etwas martialisch den Akt der Geburt. In Hinblick auf die Menstruation greift das Brunnenbild noch mehr. Da ist vom "Brunnen des Blutes" die Rede. Im Markus-Evangelium findet sich im Zusammenhang mit der Heilung einer blutflüssigen Frau der Ausdruck der "Quelle des Blutes".
Zitat: "Sogleich versiegte die Quelle ihres Blutes."
Ein Rastplatz für Jesus
Auch Jesus schätzte den Brunnen als Rastplatz. In der samaritischen Stadt Sychar sank er erschöpft am dortigen "Jakobsbrunnen" nieder. Mit einer einheimischen Frau entspinnt sich ein Gespräch über Wasser. Nach einer Weile wird der Frau klar: Das Wasser aus dem Brunnen kann nur kurzzeitig den äußeren Durst stillen. Wenn sie das "lebendige Wasser", von dem Jesus spricht, trinkt, wird sie "in Ewigkeit nicht dürsten".
Zitat: "Weil nun Jesus müde war von der Reise, setzte er sich am Brunnen nieder."
Der Brunnen des Abgrunds
Der Seher Johannes lässt kaum ein biblisches Symbol aus, um den Menschen die Schrecken der Apokalypse plastisch vor Augen zu führen. Als ein Engel eine Posaune bläst, fällt ein Stern "vom Himmel auf die Erde", der den "Schlüssel zum Brunnen des Abgrunds" besitzt. Als er ihn aufschließt, wird aus dem Brunnen ein Schlot; wie Qualm aus einem großen Ofen steigt Rauch auf - so viel, dass die Sonne verfinstert und die Luft vom Rauchgeruch verpestet ist. Damit ist der apokalyptischen Fantasie noch nicht Genüge getan: Aus der Rauchwolke springen Heuschrecken, die die Macht über die Erde gegeben wird.
Zitat: "Und er tat den Brunnen des Abgrunds auf…"
Dieser Artikel erschien erstmals am 19. Mai auf evangelisch.de.