Brüssel (epd) Vor dem Hintergrund der Zusammenarbeit mit der Türkei in der Flüchtlingskrise sollen türkische Bürger künftig ohne Visum in die EU einreisen dürfen. Die EU-Kommission hat am Mittwoch in Brüssel eine entsprechende Empfehlung verabschiedet. Allerdings stand die Empfehlung unter Vorbehalt. Insbesondere beim Schutz der Grundrechte verlangte Brüssel von der Türkei noch Verbesserungen.
"Bemerkenswerte Fortschritte"
"Die Türkei hat, vor allem in den vergangenen Wochen, bemerkenswerte Fortschritte bei der Erfüllung der Bedingungen für ihren Fahrplan zur Visaliberalisierung gemacht", erklärte Vizekommissionschef Frans Timmermans. "Es gibt noch dringend einiges zu tun, aber wenn die Türkei ihre Entwicklung fortsetzt, kann sie die verbleibenden Bedingungen erfüllen."
Fünf von 72 Kriterien, die von fälschungssicheren Dokumenten über die Grenzsicherung bis zu den Grundrechten reichen, seien noch dringend zu erfüllen. Für weitere zwei Kriterien müsse die Türkei ebenfalls noch Zeit erhalten, sie seien in der gegebenen Frist aber objektiv nicht erfüllbar gewesen, erläuterte die Kommission.
Als Zieldatum für die Aufhebung der Visumspflicht gilt Ende Juni. Es würden allerdings nur Türken ohne Visum einreisen dürfen, die bereits einen biometrischen Pass besitzen - das ist nur ein Teil der Bevölkerung. Ohne Visum dürften Türken dann bis zu 90 Tage lang in den sogenannten Schengen-Staaten bleiben, zu denen auch Deutschland gehört. Für den Fall, dass türkische Bürger plötzlich in großer Zahl ihre erlaubte Aufenthaltszeit überschreiten oder es massenhaft "unbegründete" Asylanträge von Türken in der EU gäbe, ist aus Sicht der EU-Kommission vorgesorgt. Dann könnten die betroffenen EU-Staaten gemäß bereits existierender Gesetze einen Notfallmechanismus auslösen und erneut den Visumszwang einführen, erklärte die Behörde.
Kritik aus dem EU-Parlament
Entscheiden über die Visumsfreiheit müssen nun EU-Staaten und Europaparlament. Von dort wurde bereits Kritik laut. Der Chef der Konservativen, Markus Ferber (CSU), erklärte. "Ich sehe nicht ein, warum wir im Parlament jetzt schon die Arbeit aufnehmen und das Gesetz im Schweinsgalopp durch das Parlament peitschen sollen, bevor die Türkei ihre Hausaufgaben erledigt hat." Der Vorsitzende der Liberalen, Guy Verhofstadt, bezog sich insbesondere auf einen besseren Schutz der Grundrechte - dieser Schutz zählt zu den noch nicht erfüllten Bedingungen. Solange die Anti-Terror-Gesetze in der Türkei benutzt würden, um Journalisten zu unterdrücken, solle das Parlament die Visafreiheit nicht erlauben, forderte Verhofstadt.
Zugleich mit der Empfehlung zur Visafreiheit legte die EU-Kommission auch Pläne zur Reform des sogenannten Dublin-Systems vor. Es sieht vor, dass in der Regel das Land für die Prüfung und Beherbergung eines Asylbewerbers zuständig ist, in dem dieser das erste Mal europäischen Boden betritt. Dieses Prinzip soll erhalten werden. Hinzu käme aber ein "Korrekturmechanismus", der auch als "Fairness-Mechanismus" bezeichnet wird, weil er die mit den Asylanträgen verbundenen Lasten gerechter auf die EU verteilen soll. Nach dem aktuellen System müssen Staaten wie Griechenland die Hauptlast schultern.
Der "Korrekturmechanismus" würde ausgelöst, wenn zu viele Migranten in einem einzigen Land ankommen. Wann es zu viele sind, würde von Bevölkerungszahl und Wirtschaftskraft des Landes abhängen. Die Migranten oberhalb der Schwelle würden dann ebenfalls proportional auf die übrigen Staaten verteilt. Wenn ein Land an der Umverteilung nicht teilnimmt, soll es pro abgelehntem Bewerber 250.000 Euro zahlen müssen.
Die Bundesregierung begrüßte die Vorschläge zur Dublin-Reform im Grundsatz. Sie wiesen in die richtige Richtung und würden nun geprüft und beraten, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin.