Berlin (epd) Die Einstufung der drei Maghreb-Staaten Algerien, Marokko und Tunesien als sichere Herkunftsländer bleibt umstritten. Anlässlich einer Anhörung im Bundestagsinnenausschuss übten Nichtregierungsorganisationen am Montag Kritik an dem Vorhaben der Koalition. Die Asylrechtsreferentin von Amnesty International, Wiebke Judith, verwies unter anderem auf Berichte über Folter und Misshandlungen in den Ländern. In allen drei Staaten würden Homosexuelle kriminalisiert, Frauen und Mädchen nur unzureichend vor sexualisierter Gewalt geschützt. Vertreter von Behörden und Landesministerien begrüßten dagegen den Gesetzentwurf.
Nur noch 480 Asylbewerber im März
Die sinkende Zahl der Flüchtlinge aus den drei Ländern sehen sie als Bestätigung, dass die geplante Einstufung als sicherer Herkunftsstaat Signalwirkung hat - und in der Folge weniger Asylbewerber von dort kommen. Wie aus einer Stellungnahme des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge an den Innenausschuss hervorgeht, kamen im Februar nur noch 599, im März 480 Asylbewerber aus den drei Staaten nach Deutschland. Im Januar waren im Erfassungssystem der Länder noch 3.356 Einreisen registriert worden.
Ursula Gräfin Praschma, Abteilungsleiterin beim Bundesamt, führt dies auf die Diskussion über eine Einstufung der Länder als sicher zurück. Bereits die Debatte habe zu einer spürbaren Reduzierung bei den Neuzugängen geführt. Auch Reinhard Boos vom sächsischen Innenministerium argumentierte mit einer "Signalwirkung". Nach allen Erfahrungen bewirke die Einstufung einen Rückgang der Asylbewerberzahlen aus den betreffenden Ländern. Boos argumentierte zudem, Asylbewerber aus den Maghreb-Staaten würden häufiger als andere in Zusammenhang mit Straftaten gebracht.
Pro Asyl befürchtet Fehlentscheidungen
Für Nichtregierungsorganisationen reicht dieses Argument nicht für eine Einstufung. Durch die dann möglichen Schnellverfahren mit dem Ergebnis einer Ablehnung sehen sie das individuelle Recht auf Asyl gefährdet. Jeder Asylantrag müsse in einem fairen und effektiven Verfahren geprüft werden, sagte Judith. Mit beschleunigten Verfahren drohten "schwerwiegende Fehlentscheidungen", erklärte Pro Asyl in einer Stellungnahme an den Ausschuss. Es sei zu befürchten, dass Menschen in eine Verfolgungssituation abgeschoben werden.
Der Frankfurter Asylrechtsanwalt Reinhard Marx warf der Koalition vor, Warnungen von Kirchen und Nichtregierungsorganisationen über Menschenrechtsverletzungen in Tunesien, Marokko und Algerien nicht berücksichtigt zu haben. Er äußerte Zweifel, dass das Gesetz einer verfassungsgerichtlichen Prüfung standhalten würde. Der Konstanzer Europarechtler Daniel Thym sagte dagegen, die Einstufung der Länder verlange nicht hundertprozentige Sicherheit. Jeder Asylantrag werde dennoch einzeln geprüft. Er hält die Aufnahme der Länder in die Liste sicherer Herkunftsstaaten daher rechtlich für möglich.
Anerkennungsquote auf 0,7 Prozent gesunken
Die Zahl der Asylbewerber aus den Maghreb-Staaten war im vergangenen Jahr kurzzeitig stark angestiegen. Die Koalition will darauf mit der Einstufung als sichere Herkunftsländer reagieren. Ähnlich hat sie das bei den sechs Balkanstaaten Bosnien-Herzegowina, Serbien, Albanien, Mazedonien, Montenegro und Kosovo getan. Der Rückgang der Zahl der Flüchtlinge von dort dient ihr als Beleg für die Wirksamkeit der Regelung.
Asylbewerber aus sicheren Herkunftsstaaten haben in der Regel kaum Chancen auf Asyl in Deutschland. Die Anerkennungsquote für die Maghreb-Staaten lag laut Bundesamt im ersten Quartal bei 0,7 Prozent, im Jahr 2015 noch bei 2,1 Prozent.