Die Geschichte ist ebenfalls nicht außergewöhnlich und wie so viele Krimis im Grunde ganz einfach, aber kompliziert verpackt. Immerhin sind die beiden Erzählebenen, mit denen der Film beginnt, geschickt miteinander verknüpft: Eine philippinische Frau hat sich mit einem kleinen Jungen in einer Schrebergartenhütte versteckt. Als der Junge Hunger hat, klaut sie an einem Marktstand ein paar Lebensmittel, wird jedoch ertappt. Es kommt zu einem Handgemenge, ein Mann will der Frau helfen, und am Ende werden beide verhaftet. Dieser Mann ist die Hauptfigur, und dass er von Christian Kohlund verkörpert wird, wirkt fast wie eine Reminiszenz an frühere Jahre, als die ARD-Tochter Degeto freitags noch ganz auf Schmonzetten setzte; bis 2014 spielte der Schweizer zehn Jahre lang in zwanzig Filmen den "Traumhotel"-Manager Markus Winter. Davon ist der "Zürich-Krimi" allerdings weit entfernt, dafür sorgen schon die Bilder, die nicht nur deshalb so kühl aussehen, weil im Winter gedreht worden ist.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Ähnlichkeiten zwischen den jeweiligen Hauptrollen gibt es allerdings sehr wohl, auch wenn Thomas Borchert Anwalt ist. Der Jurist, stellt sich nach und nach raus, hat angeblich Millionen verunrteut; die Frau seines früheren Partners beschuldigt ihn zudem, er trage eine Mitschuld am Suizid ihres Mannes. Borchert ist also eine durchaus schillernde Figur, aber dank Kohlund schon allein filmografisch fast automatisch Sympathieträger. Im zweiten Teil wird bestätigt, was auch der erste zwischendurch nahelegt: Der Anwalt ist Opfer eines Komplotts geworden. Der Titel "Borcherts Fall" ist selbstredend doppeldeutig zu verstehen: Er bezieht sich nicht nur auf den Casus, sondern auch auf den Absturz. Zunächst gilt sein Streben jedoch der Philippinin Amihan (Kotti Yun), die von der Polizei nicht nur wegen des Diebstahls festgehalten wird: Sie verrät Borchert zwar das Versteck des Jungen, doch der ist mittlerweile von einem Pärchen verschleppt wird worden; und Amihan wird verdächtigt, an der Entführung beteiligt zu sein. Das ist zwar nicht ganz falsch, aber Borchert findet raus, dass sich dieser Fall in Wirklichkeit ganz anders darstellt; ebenso wie sein eigener. Gemeinsam mit Dominique, der Tochter eines alten Freundes (Robert Hunger-Bühler), versucht er, Amihan zu helfen. Dominique Kuster (Katrin Bauerfeind) ist zwar zunächst wenig begeistert, hat aber ein Herz für Menschen in Not.
Die Kombination Kohlund/Bauerfeind ist auf dem Papier nicht uninteressant, aber es funkt nicht so recht zwischen den beiden; der Schweizer hat eine wunderbare Reibeisenstimme, spielt aber stark nach innen. Bauerfeind wiederum ist eine ausgezeichnete Moderatorin und hatte beispielsweise im ersten "Zorn"-Krimi schöne Momente, bekommt in ihrer Rolle als Anwältin aber nicht genug Spielmaterial; in solchen Situationen fehlen ihr dann spürbar die Mittel, über die man möglicherweise verfügt, wenn man das Handwerk gelernt hat. Auch einige der anderen Darsteller wirken mitunter von der Regie allein gelassen; dabei ist Steurer, der mit "Kleine Schiffe" und "Vier kriegen ein Kind" zwei der ersten Degeto-Produktionen der neuen Ära inszeniert hat, ein Regisseur, der seine Schauspieler zu führen weiß. Hier lässt er unter anderem Leslie Malton, die eine alte Freundin Borcherts spielt, energisch ein Ei köpfen, als sie sich über ihren Mann ärgert; das ist in etwa die Subtilitätsebene, auf der sich der Film abspielt. Die Dame gehört wie ihr Mann (Richard van Weyden) zur feinen Zürcher Gesellschaft; gerade der Gatte hat eine Menge Dreck am Stecken.
Aber nicht nur zwischen den Figuren entstehen zu wenige Reizpunkte; selbst typische Krimiszenen sind nicht sonderlich spannend. Von dem Feuer, das Borchert mittels eines Dürrenmatts-Zitat beschwört, ist nichts zu spüren ("Man kann die Wahrheit nicht ins Feuer werfen, sie ist das Feuer.") Kurths Drehbuch erfreut mit noch weiteren Weisheiten ("Schweigen ist die Tugend der Wissenden"), aber prägnanter sind einige Details, bei denen man natürlich nicht weiß, ob sie schon im Drehbuch standen, etwa das fast schon unseriös wirkende Dekollete von Kusters Sekretärin oder ein kleiner Moment, als Borchert mit seinen feinen Schuhen in den Matsch tritt. Wie in allen Auslandsproduktionen der Degeto sprechen sämtliche Mitwirkenden ein makelloses Hochdeutsch, was dem Film viel von seinem potenziellen Lokalkolorit nimmt; aber zumindest klingen die Dialoge anders als im "Tatort" aus Luzern nicht künstlich. Der Schluss schließlich schürt immerhin erfolgreich die Neugier auf die Fortsetzung der horizontalen Geschichte; die ist ohnehin viel interessanter als der Entführungsfall.