TV-Tipp: "Unter Verdacht: Ein Richter" (ZDF)

TV-Tipp: "Unter Verdacht: Ein Richter" (ZDF)
23. April, 20.15 Uhr im ZDF
Dieser wie stets ausgezeichnet gespielte Beitrag zur grundsätzlich vorzüglichen ZDF-Reihe "Unter Verdacht" mit dem bescheidenen Titel "Ein Richter" beschreibt, zu welchen Auswüchsen eine im Grunde vernünftige Regelung führen kann.

Die richterliche Unabhängigkeit ist eine der Säulen des deutschen Rechtssystems: Solange ein Richter nicht gegen Gesetze verstößt, ist er im Prinzip unantastbar; seine Urteile können allein durch die nächsthöhere Instanz korrigiert werden.  Doch Beklagte haben mitunter weder die Nerven noch das Geld, um in Berufung zu gehen. Der großartige Martin Brambach, zuletzt vor allem in eher väterlichen Rollen zu sehen ("Unter anderem Umständen"), darf in der Titelrolle noch mal einen Schurken spielen, tut dies aber mit feiner Subtilität, zumal Rainer Koller zunächst nicht Täter, sondern Opfer ist: Eva Prohacek (Senta Berger) wird Zeugin, wie sich in der Kantine des Münchener Justizzentrums eine Frau (Anneke Kim Sarnau) außer sich vor Wut auf den Amtsrichter stürzt. Sie heißt Doris Kern und ist vor einigen Jahren von Koller verurteilt worden, weil sie Salzsäure auf ihren Mann schütten wollte. Ihrer Ansicht nach war es genau andersherum; die Spuren der Attacke auf ihrem Brustkorb werden für den Rest ihres Lebens zu sehen sein. Die interne Ermittlerin geht der Sache nach und findet raus, dass es eine ganze Reihe ähnlicher Entscheidungen Kollers gibt: In Fällen häuslicher Gewalt hat er die Männer stets freigesprochen und die Urteile damit begründet, dass die Frauen selbst Schuld seien.

Geschickt vermeidet es Brambach, den furchtbaren Juristen als Teufel mit Robe zu verkörpern, im Gegenteil; glaubwürdig kann Koller auf die Effizienz seiner Arbeit verweisen. Dank eines simplen Schachzugs gelingt es Autor Mike Bäuml in seinem ersten Drehbuch für "Unter Verdacht" dennoch, den Richter zu entlarven. Der Film beginnt mit einer gruseligen Szene, wie sie sich vermutlich öfter unter deutschen Dächern ereignet, als man ahnt: Ein Mann (Georg Friedrich) kommt nach Hause, findet die Küche unaufgeräumt vor, brüllt auf seine Frau Carola (Alexandra Finder) ein und wird handgreiflich; sie greift zu einem Messer und sticht nach ihm. Im Prozess dreht Koller den Spieß um: Nun wird die Frau zur Täterin und der Mann zum Opfer.

Dass es sich bei der Frau um die Schwester von Doris Kern handelt, mag ein bisschen weit hergeholt klingen, schließlich hätte Carola ahnen können, was ihr blüht. Abgesehen davon treibt Bäuml seine Handlung noch weiter auf die Spitze, denn eines Tages liegt Doris tot im Vorgarten des Richters: Angeblich hat sie ihn mit einer Waffe bedroht, er hat sie in Notwehr erschossen. Prohacek will dem Mann nun endgültig das Handwerk legen, und der Zufall spielt ihr in die Karten: Sie konfrontiert den Richter mit einem Gespenst aus seiner Vergangenheit.

Am Ende dreht die Geschichte ein bisschen ab, und selbst Brambach kann kaum noch verhindern, dass Koller zur Karikatur wird (Regie: Martin Weinhart). Ohnehin fällt auf, dass mit Ausnahme des sanften Prohacek-Partners Langner (Rudolf Krause) die männlichen Figuren ausnahmslos Unholde sind. Vom Abteilungsleiter Reiter (Gerd Anthoff) weiß man das, aber auch der Präsident (August Zirner) des Amtsgerichts ist alles andere als ein Sympathieträger. Der prügelnde Ehemann ist ohnehin eine Figur wie aus einem Psychopathenthriller; kein Wunder, dass man an die berühmte Szene aus "Shining" denken muss, als der Kerl mit einem Hammer die heimische Badezimmertür einschlägt. Georg Friedrich zieht allerdings auch alle Register; erst recht, wenn er genussvoll Sätze wie "Gewalt ist doch keine Lösung" säuselt. Auch an Carola muss man sich erst gewöhnen: Obwohl sie eindeutig das Opfer der Geschichte ist, kommt sie nicht los von ihrem Freund, gibt sich selbst schwerverletzt noch die Schuld an seinen Gewaltausbrüchen und freut sich über seine Verzeihung. Aber erfahrungsgemäß schreibt das Leben mitunter noch viel unglaubwürdigere Geschichten.