"Kein probates Mittel"

"Kein probates Mittel"
Drei Fragen an den Heilpädagogikprofessor Dieter Lotz über das Einsperren in Behinderteneinrichtungen
In bayerischen Einrichtungen für Kinder mit geistigen Behinderungen sollen Medienberichten zufolge Kinder eingesperrt und fixiert worden sein. Der Professor für Heilpädagogik an der Evangelischen Hochschule Nürnberg, Dieter Lotz, hält das Wegsperren zwar für legal, aber nicht für legitim.
07.04.2016
epd
epd-Gespräch: Jutta Olschewski

Nürnberg (epd) Der Lehrer für Berufsethik sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), das pädagogische Personal in den Einrichtungen müsse auf solche Methoden verzichten.


epd: Was ist Ihre erste Reaktion auf die Berichte gewesen, dass in bayerischen Heimen Kinder und Jugendliche mit Behinderungen und besonderem Förderbedarf in sogenannten Timeout-Räumen eingesperrt werden?


Dieter Lotz: Manches ist zwar legal, aber ethisch nicht legitim. Es kann kein probates Mittel sein, Kinder zu fixieren oder einzusperren. Das sollte nur als letztes Mittel infrage kommen und muss dann pädagogisch eingerahmt sein. Kinder mit aggressivem Verhalten brauchen eine liebevolle Begleitung, Halt und Sicherheit. Was sie aber bei Zwangsmaßnahmen erleben, ist Bestrafung und Macht. Diese können sie verängstigen und traumatisieren. Die Kinder haben keine positive Lernerfahrung.


epd: Was wären die Alternativen zu einer solchen Machtdemonstration?


Lotz: Auf das Einsperren oder Fixieren kann man verzichten, wenn eine individuelle und professionelle Begleitung gewährleistet ist. Das ist möglich, wenn es genügend Personal gibt. Für kostenintensive Fälle muss man mehr Gelder beantragen, diese gibt es in der Regel auch in Bayern. Wenn unser Staat ein Fixieren in den Einrichtungen ablehnt, dann muss er noch mehr in die betreuenden Einrichtungen investieren und in die Qualifizierung der Mitarbeiter. Wir müssen uns fragen: Wie viel sind uns Kinder wert, die am Ende der Gesellschaft stehen? Auch das ist eine ethische Frage. Eine andere fragwürdige Alternative wären Psychopharmaka, mit denen die Kinder und Jugendlichen nur ruhiggestellt würden. Gleichwohl können sie im Einzelfall berechtigt sein.


epd: Haben die Mitarbeitenden, die zu solchen Mitteln greifen, vergessen, was sie über Berufsethik in ihrer Ausbildung gehört haben?


Lotz: In den Köpfen sind oft ethische Grundsätze verankert, aber mit der Umsetzung kann es hapern, wenn das Betreuungspersonal mal mit zehn oder zwölf Kinder allein im Dienst steht. Ich lehne ein pauschales Anprangern der Beschäftigten ab. Es ist keinem geholfen, wenn wir jetzt rufen: Die sperren Kinder ein! Gerade Kinder und Jugendliche mit Behinderungen und Verhaltensauffälligkeiten brauchen Betreuer mit Empathie und Professionalität, um Zwangsmaßnahmen überflüssig zu machen.