Gutachter im Amoklauf-Prozess: Bluttat war nicht vorherzusehen

Gutachter im Amoklauf-Prozess: Bluttat war nicht vorherzusehen
Trägt das Zentrum für Psychiatrie in Weinsberg eine Mitschuld am Amoklauf von Winnenden mit 16 Toten? Nein, erklärte jetzt ein Gutachter vor dem Landgericht Heilbronn. Allerdings gebe es "Unschärfen" bei der Diagnose des Klinikums.

Heilbronn, Winnenden (epd) Das Zentrum für Psychiatrie in Weinsberg trägt nach Einschätzung eines Gutachters keine Mitschuld am Amoklauf von Winnenden mit 16 Toten. "Es gibt keine Diagnose, keine einzige, die eine Amoktat voraussagen lässt", sagte Professor Helmut Remschmidt am Dienstag im Prozess vor dem Landgericht Heilbronn. Geklagt hatte der Vater des Amokschützen Tim K.. Er wirft der Klinik Behandlungsfehler vor, die mit zu der Bluttat geführt hätten. Der 17-Jährige war einige Monate vor dem Amoklauf ambulant in der Jugendpsychiatrie behandelt worden.

Die Einrichtung müsse die Hälfte der Schadensersatzzahlungen tragen, fordert der Kläger. Im Raum steht laut Gericht ein Streitwert von vier Millionen Euro. Das Klinikum weist ein Mitverschulden zurück und betont, der Amoklauf sei nicht vorherzusehen gewesen. Dem pflichtete der Gutachter bei, und ging sogar noch einen Schritt weiter. "Der einzige kausale Schluss - und den kennen sie alle - ist der Waffenzugang zu Hause."

Tim K. hatte am 11. März 2009 in Winnenden und auf der Flucht nach Wendlingen 15 Menschen und sich selbst erschossen. Zahlreiche weitere Menschen wurden verletzt. Die Tatwaffe hatte sein Vater, ein passionierter Sportschütze, unverschlossen im Schlafzimmerschrank aufbewahrt. Er wurde unter anderem wegen fahrlässiger Tötung 2013 rechtskräftig zu 18 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.

Diagnose Persönlichkeitsstörung

Der Gutachter sieht durchaus Unschärfen bei der Diagnose des Klinikums. So sei bei Tim K. nicht, wie dort diagnostiziert, von einer Sozialen Phobie auszugehen gewesen, sondern von einer Persönlichkeitsstörung. Die Stimmungsschwankungen seien nicht entsprechend berücksichtigt worden. Von einem Fehler wolle er aber nicht reden, da es durchaus größere Schnittmengen bei beiden Diagnosen gebe.

Ihn wundere zudem, dass nicht weiter nachgefragt worden sei, als Tim K. im ersten von fünf Terminen äußerte, "alle erschießen" zu wollen. Letztlich hätten die übrigen Sitzungen aber auch keinen weiteren Anlass dazu geboten, weil der der 17-Jährige nichts Ähnliches mehr gesagt habe. Außerdem machte der Gutachter deutlich: "Ich sehe das streng zweigleisig." Auch die Eltern hätten zu wenig über Tims Begeisterung für Waffen gesprochen.

Letztlich hätte selbst die in seinen Augen richtige Diagnose Persönlichkeitsstörung nicht auf den Amoklauf hingedeutet oder eine Behandlung zur Folge gehabt, die das schlimme Geschehen vor gut sieben Jahren hätte verhindern können. "Ein direkter Nachweis, dass es bei fehlerfreier Behandlung nicht zu der Tat gekommen wäre, ist nicht zu führen", bilanzierte Remschmidt. Und setzte noch mal hinzu: "Es hätte verhindert werden können, wenn er nicht an die Waffe gekommen wäre."

Urteil nicht vor Ende April

Schadenersatzzahlungen waren seit 2013 häufiger Thema. Mehr als 30 Opferangehörige und Geschädigte erhielten bislang zusammen zwei Millionen Euro von der Versicherung des Vaters, 400.000 zahlte diese an die Stadt Winnenden für die Schäden an der Albertville-Realschule, dem Haupttatort des Amoklaufs. Im Raum steht noch eine Forderung der Unfallkasse Baden-Württemberg von über 700.000 Euro für die Behandlung von Schülern, Eltern und Lehrern nach der Tat. Auch separate Klagen von Geschädigten gegen den Vater des Täters sind zu erwarten.

Nach Auskunft seines Anwalt geht es dem Kläger nicht darum, die eigenen Kosten zu drücken, sondern darum, dass die Hinterbliebenen und andere Geschädigte mehr Geld bekommen. Seinen Fall vertrat der Vater des Amokschützen am Dienstag nicht selbst vor Gericht: Er ließ sich mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung entschuldigen. Ein Urteil soll nicht vor Ende April verkündet werden.