TV-Tipp: "Nur eine Handvoll Leben" (ARD)

Foto: Getty Images/iStockphoto/vicnt
TV-Tipp: "Nur eine Handvoll Leben" (ARD)
23.3., ARD, 20.15 Uhr: "Nur eine Handvoll Leben"
Die schlichte Inhaltsangabe kann der Traurigkeit, die dieser Film hervorruft, nicht mal ansatzweise gerecht werden: In der 22. Woche erfährt eine schwangere Lehrerin, dass ihr Kind den schweren Gendefekt Trisomie 18 hat und die Geburt, wenn überhaupt, vermutlich nur einige Tage oder Wochen überleben wird. Die Vernunft, ihr Mann und alle Ärzte raten zum Schwangerschaftsabbruch, doch sie bringt die Abtreibung nicht übers Herz.

Autorin Henriette Piper und Regisseurin Franziska Meletzky gelingt das Kunststück, dieser unendlich traurigen Geschichte trotzdem schöne Seiten abzugewinnen. Das ist neben dem Drehbuch nicht zuletzt den formidablen Darstellern zu verdanken. Annette Frier hat schon öfter gezeigt, dass sie zu Unrecht lange als reine Komödiantin galt. Jetzt ist sie gleich zweimal innerhalb weniger Wochen in bewegenden Dramen zu sehen: kürzlich als Chirurgin in dem Organspendefilm "Zwei Leben. Eine Hoffnung", nun in "Nur eine Handvoll Leben". Aber während die Ärztin nur mittelbar von den Schicksalen ihrer Schutzbefohlenen betroffen ist, bildet Annette Winterhoff das emotionale Epizentrum der Geschichte. Der familiäre Rahmen, den Buch und Regie angenehm beiläufig erläutern, verleiht dem Baby zudem eine besondere Bedeutung. Annette und ihr Mann Thomas (Christian Erdmann) bilden eine Patchwork-Familie: Beide haben eine Tochter mit in die Ehe gebracht, wollen aber auch ein gemeinsames Kind; für Annette ist es mit Anfang vierzig die vermutlich letzte Chance.

Natürlich ist "Nur eine Handvoll Leben" ein Melodram; die Geschichte verursacht von Anfang an einen dicken Kloß im Hals, und wer am Schluss nicht heult, hat kein Herz. Aber Meletzky (zuletzt "Konrad und Katharina"), die unter anderem 2012 den sehenswerten niedersächsischen Doppel-"Tatort" ("Wegwerfmädchen"/"Das goldene Band") inszeniert hat, drückt nie unnötig auf die Tränendrüse. Stattdessen zeigt der Film, wie die Betroffenen reagieren. Thomas, der selbst Arzt ist, flüchtet sich in die Sachlichkeit, aber auch er geht mal zum Weinen vor die Tür. Christian Erdmann spielt seinen Part als ruhenden Pol der Familie ganz ausgezeichnet und sehr sympathisch; erstaunlich, dass er nicht schon längst viel öfter Hauptrollen bekommen hat. Frier wiederum hat gemeinsam mit Meletzky einen interessanten Weg gefunden, um zu vermitteln, was die Information mit der Mutter macht: Annette wird völlig aus der Bahn geworfen, versucht jedoch, gerade gegenüber den Kindern die Haltung zu bewahren. Sehr nachvollziehbar beschreibt der Film, wie sie für sich zu übersetzen versucht, was die mit medizinischen Fachbegriffen gespickten Aussagen der Ärzte in Wirklichkeit bedeuten. Dass sie ihrer Tochter, dem älteren der beiden Mädchen, nicht sagt, was mit dem Baby los ist, hat allerdings fatale Folgen: Julia (Aleen Jana Kötter) wird bald 16, hadert ohnehin mit der familiären Konstellation und möchte zu ihrem Vater ziehen, der sich aber lieber seiner neuen Freundin widmet. Eine Babyschwester ist das letzte, was Julia jetzt brauchen kann, weshalb sie das Ultraschallfoto verbrennt. Thomas’ Tochter Eva (Ella Frey), die einige Jahre jünger ist und viel gelassener mit der neuen Situation umgeht, warnt die ältere, das bringe bestimmt Unglück, und prompt gibt sich Julia später die Schuld am Schicksal des Babys. Dass sie versucht, ihren "Fehler" durch eine Art Voodoo-Zauber rückgängig zu machen, ist ein ausgesprochen verblüffender, aber aus Teenager-Sicht völlig plausibler Einfall.

Die Gewichtung der Rollen ist ohnehin eine große Stärke des Drehbuchs. Die beiden Mädchen sind nicht bloß Nebenfiguren, sondern beinahe gleichwertige Partnerinnen im Ensemble. Umso wichtiger war es, angemessene Darstellerinnen zu finden. Die junge Ella Frey hat die etwas einfachere Rolle, was ihre Leistung nicht schmälern soll. Aleen Jana Kötter spielt den typischen pubertären Trotz, der überall Feinde sieht und sich mit vorsätzlichen Kränkungen revanchiert, ebenso glaubwürdig wie die tiefe Schockiertheit des Mädchens, als es zufällig von der Behinderung erfährt, anschließend im Internet nach einer Erklärung für Trisomie sucht und auf Bilder von furchtbar entstellten Babys stößt.

Meletzky hat den in den wichtigsten Positionen ausschließlich von Frauen verantworteten Film insgesamt sehr ruhig inszeniert; zu den vielen bewegenden Momenten gehört auch die Begegnung der schwangeren Annette mit einem Trisomie-18-Baby. Interessant auch, dass die Regisseurin und ihre Kamerafrau Bella Halben das ärztliche Personal unscharf in den Hintergrund drängen oder mitunter gar auf die Stimme reduzieren. Die gelegentlichen extremen Nahaufnahmen wirken dagegen etwas unmotiviert. Die beiden Mädchen hat Meletzky dagegen ausgezeichnet geführt. Gerade die späteren Szenen, in denen sich aus anfänglicher Ablehnung Freundschaft entwickelt, sind mitentscheidend für die lebensbejahende Botschaft des Films, der trotz des tränenreichen Endes nicht deprimierend ist: Es geht zwar auch weiterhin um das dem Tod geweihte Kind, aber mehr und mehr schiebt sich das Schicksal der Lebenden in den Vordergrund. Deshalb erweist sich Annettes Entschluss, das Baby zur Welt zur bringen, als goldrichtig: weil das gemeinsam erlebte Schicksal das Quartett zu einer echten Familie zusammenwachsen lässt.