In den Sonntagskrimis des NDR geht es gern ein bisschen rauer zu als anderswo; und das keineswegs nur im "Tatort" mit Til Schweiger. In "Zorn Gottes" platscht ein Toter aus großer Höhe in ein Schwimmbecken; "bumm, zack, Arschbombe", kommentiert Thorsten Falke den ungewöhnlichen Leichenfund. Der trockene Spruch belegt: Der Bundespolizist hat seinen Humor wiedergefunden; der war ihm bei seinem erschütternden letzten Fall, als er die Umstände eines seltsamen Todesfalls in einem Polizeirevier untersuchte ("Verbrannt"), ebenso abhanden gekommen wie seine Partnerin; und auch in dieser Hinsicht tut sich etwas. Sehenswert aber ist "Zorn Gottes", wie Falkes erster Fall ("Feuerteufel") von Özgür Yildirim inszeniert, aus anderen Gründen. Da ist zum einen der Schauplatz, denn die Handlung trägt sich größtenteils hinter den Kulissen des Flughafens Hannover zu. Schon allein die Schilderung der Sicherheitsvorkehrungen und erst recht die Suche nach den toten Winkeln im eigentlich lückenlosen Überwachungssystem sind faszinierend. Genauso spannend und zudem reichlich brisant ist die Geschichte: Ein deutscher "IS"-Kämpfer kehrt heim und bringt den Terror mit; im dramatischen und packenden Finale liefern sich Falke (Wotan Wilke Möhring) und seine Mitstreiterin Julia Grosz (Franziska Weisz) einen Wettlauf mit dem Tod, denn der Terrorist plant ein Blutbad in Braunschweig.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Bevor Jäger und Gejagte am Ende aufeinandertreffen, lässt Drehbuchautor Florian Oeller sie in zwei Handlungssträngen parallel agieren. Der Film beginnt mit einem Mord aus Versehen: Ein Schleuser (Christoph Letkowski), der zum Personal des Flughafens gehört, wartet auf einen Kunden, um ihn an der Passkontrolle vorbei aus dem Terminal zu schmuggeln. Dummerweise erwischt er den falschen und muss den Mann nun beseitigen, um nicht aufzufliegen; die Leiche landet kurz drauf im Pool, was Yildirim ziemlich schwarzhumorig inszeniert. Derweil testet Falke inkognito, wie gut die Sicherheitsvorkehrungen am Flughafen sind, und wird von einer Kollegin recht unsanft auf die Bretter geschickt. Gemeinsam gehen die beiden der Frage nach, wie es zu der unfreiwilligen Arschbombe kommen konnte. Oeller und Yildirim erzählen diesen Teil der Handlung auf mehreren Ebenen: Während Falke und Grosz nach dem Leck suchen, stellt der Film beiläufig die umfangreichen Überwachungsmaßnahmen vor. Mindestens genauso reizvoll ist die Zusammenarbeit der beiden völlig unterschiedlichen Charaktere, denn im Gegensatz zum lockeren Falke ist Julia Grosz, die unter einem Trauma leidet, seit sie als Polizeiausbilderin in Afghanistan einen Kollegen erschießen musste, ein Granitblock, an dem er sich die Zähne ausbeißt; die Wienerin Franziska Weisz gibt passend zur Figur ein sehr sachliches Debüt als "Tatort"-Ermittlerin.
Während Oeller die Recherche hinter den Kulissen des Flughafens sehr kenntnisreich und glaubwürdig beschreibt, kommt ausgerechnet die Figur des Gegenspielers etwas kurz. Der Terrorist (Cem-Ali Gültekin) liefert sich zwar einen moralischen Diskurs mit dem Schleuser, aber über seine Motive, sich dem "Dschihad" anzuschließen, gibt der Film zu wenig preis. Das ist schade, denn der biografische Hintergrund der beiden Männer ist sehr ähnlich. Da hat Oeller die Gelegenheit verpasst zu verdeutlichen, dass der vermeintlich heilige Krieg nichts mit Religion zu tun hat; vielmehr gibt der "Islamische Staat" Jugendlichen ohne Perspektive ein Ziel, für das es sich zu leben (und zu sterben) lohnt.
Trotzdem ist "Zorn Gottes" ein ungewöhnlicher und sehenswerter "Tatort", zumal Yildirim, der 2008 durch das Jugenddrama "Chiko" bekannt geworden ist und im vergangenen Jahr mit "Boy7" einen großartigen Kinothriller gedreht hat, das Kunststück gelungen ist, dem nüchternen Schauplatz dank eines konsequenten ästhetischen Konzepts (Kamera: Matthias Bolliger) bemerkenswerte Bilder abzugewinnen.