Nun ist sie also in Israel, die jüdische Kommissarin Sara Stein aus Berlin. In der Wirklichkeit sind seit ihrem ersten Fall nur sieben Tage vergangen, aber im Film ist sie schon seit mindestens zwölf Monaten in Tel Aviv; jedenfalls wird beiläufig eingestreut, dass sie ein Jahr lang auf der Polizeiakademie war. In dieser Zeit hat sie offenbar perfekt hebräisch gelernt, immerhin eine Sprache, die ihr zuvor überhaupt nicht geläufig war; jedenfalls kann sie sich mit den Israelis wunderbar verständigen. Dass einige von ihnen im Unterschied zur Einwanderin mit starkem Akzent sprechen, gehört zu den Dingen, über die man in Filmen dieser Art hinweghören muss. Entscheidender sind ohnehin die Geschichte, ihre Umsetzung und die Leistungen der Darsteller, und in dieser Hinsicht wird "Shiv'a" den Erwartungen gerecht, zumal mit Martin Kluger und Maureen Herzfeld (Buch), Matthias Tiefenbacher (Regie) und Holly Fink (Bildgestaltung) das gleiche Team am Werk war wie beim Auftakt "Tod in Berlin". Vor der Kamera tummeln sich nun allerdings lauter Einheimische, weshalb sehr viel synchronisiert werden musste; aber auch das ist kein Problem, zumal die israelischen Darsteller ausnahmslos markant und interessante Gesichter haben.
Mit ihrem ersten Fall muss Sara Stein (Katharina Lorenz) gleich auch eine brisante Bewährungsprobe bestehen: Nach der Ermordung eines Polizisten soll sie als neutrale Außenstehende gemeinsam mit einem Kollegen die Untersuchung leiten. Inspektor Jakoov Blok (Samuel Finzi) ist naturgemäß alles andere als begeistert, dass er eine deutsche Aufpasserin bekommt, aber seine Vorbehalte haben womöglich noch andere Gründe: Sara hat den Verdacht, dass Blok zu tief in die Sache verwickelt ist, um unbefangen ermitteln zu können. Tatsächlich findet sie raus, dass der Kollege eine Affäre mit der vor einigen Wochen verstorbenen Frau des Mordopfers hatte. Die Indizien weisen zwar Parallelen zu einem vor zwei Jahre verübten Raubmord auf, aber natürlich kann solche Hinweise kaum jemand besser arrangieren als ein Polizist.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Noch mehr zu bieten als einen exotischen Schauplatz und eine interessante Hauptdarstellerin
Aufs reine Verbrechen reduziert, könnte sich "Shiv'a" überall zutragen, doch schon der Titel deutet an, dass der Religion in dieser Geschichte eine gewisse Bedeutung zukommt: "Shiva" heißt schlicht sieben und steht für die Trauerwoche nach dem Tod eines unmittelbaren Angehörigen. Dass sich die Polizistin in einer Welt bewegt, die für sie als nicht praktizierende Jüdin in vielerlei Hinsicht fremd ist, spielt zwar ebenfalls eine Rolle, hätte aber ruhig noch stärker betont werden können. Gleiches gilt für ein weiteres Motiv, das der Handlung mehr Tiefe gegeben hätte: Die Polizisten bilden einen verschworenen Haufen, zu dem sie als Fremde und als Frau nur schwer Zugang bekommt; die Männer begegnen ihr daher mit doppeltem Misstrauen. Zutrauen fasst ausgerechnet eine junge Kollegin, die ebenso vorwitzig ist wie ihr flotter Fahrstil. Weil sie Sara an deren erstem Arbeitstag beinahe über den Haufen gefahren hätte, geraten die beiden zunächst aneinander, verstehen sich dann aber prächtig, zumal die Deutsche ohnehin eine Dolmetscherin braucht, wenn sie Araber befragt. Die attraktive Hanan (Bat-Elle Mashian) ist nicht nur der Blickfang des Films, sie steht auch für die religiöse Vielfalt Israels: Sie ist weder Jüdin noch Muslima, sondern gehört zur Religionsgemeinschaft der Drusen. Wenn die weiteren Filme diesem Aspekt stärker Rechnung trägt, kann sich der "Tel-Aviv-Krimi" tatsächlich zu einer Reihe entwickeln, die noch mehr zu bieten als einen exotischen Schauplatz und eine interessante Hauptdarstellerin.