Bundesverfassungsgericht schreitet nicht beim "Pflegenotstand" ein

Bundesverfassungsgericht schreitet nicht beim "Pflegenotstand" ein
Der deutsche Staat muss nicht gesetzlich gegen Pflegemängel in Seniorenheimen vorgehen. Das Bundesverfassungsgericht lehnte mehrere vom Sozialverband VdK unterstützte Verfassungsbeschwerden als unzulässig ab.

Karlsruhe, Dortmund (epd)Der deutsche Staat muss nicht gesetzlich gegen Pflegemängel in Seniorenheimen vorgehen. Mehrere vom Sozialverband VdK unterstützte Verfassungsbeschwerden gegen den "Pflegenotstand" nahmen die Karlsruher Richter nicht zur Entscheidung an, wie aus einem am Freitag veröffentlichten Beschluss hervorgeht. (AZ: 1 BvR 2980/14). Der VdK und die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisierten die Entscheidung des Gerichtes.

Staat bleibt untätig

Die sechs Beschwerdeführer hatten gerügt, dass der Staat nichts gegen Pflegemängel unternehme und er damit seine Schutzpflichten verletze. Sie befürchten, dass sie im Falle einer Heimunterbringung von "gravierenden Versorgungsmängeln" betroffen wären. Trotz einer schlechten Betreuungslage bleibe der Staat weitgehend untätig. Zwei der Beschwerdeführer sind mittlerweile an Demenz erkrankt, zwei weitere sind auf einen Rollstuhl angewiesen und benötigen Hilfe von einem ambulanten Pflegedienst.

Sie verlangten, dass das oberste Gericht den Gesetzgeber verpflichtet, Pflegeheimbewohner besser zu schützen und die Heimsituation kontinuierlich zu überprüfen. Nur so könne die Würde und Unversehrtheit der Bewohner sichergestellt werden, hieß es.

Normalerweise müsse zwar vor einer Verfassungsbeschwerde erst vor den Fachgerichten geklagt werden, erklärten die Betroffenen. Klagen einzelner, oft geschwächter Heimbewohner würden sich aber über Jahre hinziehen und mitunter zu spät entschieden, so dass die Karlsruher Richter sofort einschreiten müssten.

Das Bundesverfassungsgericht lehnte die Beschwerden als unzulässig ab. Weder hätten die Beschwerdeführer ausgeführt, wieso die landes- und bundesrechtlichen Vorschriften zur Qualitätssicherung in Heimen unzureichend seien, noch sei dargelegt worden, wie sich die Pflegesituation durch staatliche Maßnahmen nachweislich verbessern lasse.

Nur bei evidenter Verletzung einschreiten

Schließlich seien die Beschwerdeführer auch nicht "selbst, gegenwärtig und unmittelbar in ihren Grundrechten verletzt". Letztlich gehöre es zum "Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers", welche Schutzmaßnahmen er für Pflegeheime veranlasst. Nur im Ausnahmefall könne das Bundesverfassungsgericht einschreiten, "wenn der Gesetzgeber seine Pflicht evident verletzt hat". Das sei hier aber nicht der Fall.

VdK-Präsidentin Ulrike Mascher bedauerte die Entscheidung. Die Mängel und der Notstand in Pflegeheimen seien hinreichend belegt. "Die gesetzgeberischen Maßnahmen auf Bundes- und Landesebene haben für viele Heimbewohner die Not nicht wirklich verbessern können", sagte sie. Das Bundesverfassungsgericht vermeide die dringend notwendige Auseinandersetzung mit der "defizitären Menschenrechtssituation" in Pflegeheimen.

Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, sagte, der Rechtsschutz durch die Fachgerichte, den Karlsruhe empfehle, "klingt für Pflegebedürftige wie ein Hohn". Es sei kalte Juristerei, den Menschen in der Pflegefalle erst dann für seine Grundrechte streiten zu lassen, rügte Brysch.

Bereits im Dezember 2015 hattet das Bundesverfassungsgericht aus ähnlichen Gründen die Verfassungsbeschwerde eines Augsburger Pflegeheimleiters als unzulässig nicht zur Entscheidung angenommen (Az.: 1 BvR 2668/14).