Berlin (epd)Vor dem EU-Gipfel haben Vertreter der großen Koalition in Berlin die Erwartungen an das Treffen der Staats- und Regierungschefs gedämpft. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte am Dienstag in Berlin, Erfolg oder Misserfolg des Gipfels am Donnerstag und Freitag in Brüssel würden sich sicher nicht an der Frage über Kontingente für Flüchtlinge entscheiden. Vielmehr gehe es darum zu bewerten, ob die EU-Türkei-Migrationsagenda der richtige Weg zur Reduzierung der Flüchtlingszahlen ist. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sagte dem Fernsehsender n-tv, "die Dinge" seien in Bewegung, die Fragen aber noch nicht zu Ende diskutiert: "Das heißt nicht, dass wir Grund hätten zu übergroßem Optimismus."
Neue EU-Kontingente "lächerlich"
Merkel sagte nach einem Treffen mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, angesichts der Tatsache, dass noch nicht einmal die 160.000 Flüchtlinge verteilt sind, würde man sich "lächerlich" machen, neue Kontingente zu beschließen. Die EU-Staats- und Regierungschefs hatten sich nach langem Ringen im vergangenen Jahr entschlossen, 160.000 Flüchtlinge vor allem aus den stark geforderten EU-Ländern Griechenland und Italien umzuverteilen. Bis zur vergangenen Woche sind allerdings erst 600 Menschen in andere Länder gebracht worden.
Bei den Kontingenten geht es wiederum um eine Umsiedlung von Flüchtlingen, die derzeit in den Nachbarländern Syriens leben. Im Fokus steht dabei die Türkei, mit der die EU Maßnahmen zu einer besseren Überwachung der Grenze vereinbart hat, um den Andrang Asylsuchender nach Europa zu reduzieren. Auf diese Kooperation setzt Merkel. Sie werde ihre Kraft darauf setzen, dass sich die EU-Türkei-Agenda als der Weg herausstellt, "den es sich lohnt, weiter zu gehen".
Asylpaket II im Bundestag
Am Mittwoch wird die Kanzlerin vor dem Bundestag eine Regierungserklärung zum EU-Gipfel abgeben. Das Parlament berät in dieser Woche in erster Lesung zudem über das lang umstrittene Asylpaket, das unter anderem beschleunigte Verfahren für Asylsuchende mit geringer Bleibeperspektive und eine Aussetzung des Familiennachzugs für Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz vorsieht.
Nicht in dieser Woche eingebracht wird dagegen das Gesetz zur Ausweitung sicherer Herkunftsländer um Algerien, Marokko und Tunesien. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Bundestagsfraktion, Michael Grosse-Brömer (CDU), sagte am Dienstag in Berlin, die SPD habe dies nicht gewollt. Dadurch kann das Gesetz voraussichtlich nicht schon am 26. Februar im Bundesrat beraten werden, wie es zunächst geplant war. Die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Christine Lambrecht, erklärte hingegen, die Sozialdemokraten wären bereit, das Verfahren zu beschleunigen. "Einigen müssen sich CDU, CSU und Grüne", sagte sie.
Kretschmann stellt Bedingungen
Anders als das Asylpaket bedarf die Einstufung sicherer Herkunftsstaaten der Zustimmung des Bundesrats. Eine Mehrheit ist dort nur möglich, wenn auch Länder mit Regierungsbeteilung der Grünen, die dies prinzipiell ablehnen, mit Ja stimmen. Wie die "tageszeitung" (Dienstagsausgabe) berichtet, ist Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) dazu bereit, wenn es im Gegenzug unter anderem eine Altfallregelung für 20.000 schon länger in Deutschland lebende Flüchtlinge gibt, deren Antrag noch nicht entschieden ist.
Rückhalt für den Kurs von Kanzlerin Merkel in der europäischen Flüchtlingspolitik zeigte am Dienstag eine Umfrage der Bertelsmann Stiftung. Vier von fünf EU-Bürgern (79 Prozent) wünschen sich demnach wie sie eine faire Verteilung von Flüchtlingen unter den Mitgliedstaaten. In den neuen EU-Ländern, wo sich die Regierungen besonders gegen eine Quote sträuben, sind es demnach allerdings nur 54 Prozent. Befragt wurden mehr als 11.000 Menschen in allen 28 EU-Staaten.
Deutschland gehört bislang zu wenigen Ländern in Europa, die verhältnismäßig viele Flüchtlinge aufgenommen haben. 2015 waren es mehr als eine Million Asylsuchende. Eine Schätzung für dieses Jahr will die Bundesregierung nicht abgeben. Das Bundesinnenministerium dementierte am Dienstag einen Bericht, wonach für das laufende Jahr mit 500.000 Flüchtlingen gerechnet werde.