Vor fast genau einem Jahr hat die ARD "Begierde – Mord im Zeichen des Zen" gezeigt. Im Vergleich zu anderen Donnerstagskrimis war der Film mit Melika Foroutan als alkoholkranke Kommissarin Louise Bonì aus Aachen fast zu düster, zumal sich Hannah Hollinger (Buch) und Brigitte Maria Bertele (Regie), beide 2014 für das Drama "Grenzgang" mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet, im Grunde mehr für das Seelenleben ihrer Antiheldin interessierten als für die Ermittlungen. Prompt ist der zweite Auftritt der ungewöhnlichen Ermittlerin, deren Name nun den spekulativen Reihentitel "Begierde" ersetzt, insgesamt etwas gefälliger, auch wenn Louise Bonì, Heldin einer Romanreihe von Oliver Bottini, nach wie vor aus dem Rahmen fällt: Nach erfolgreichem Entzug kehrt die Kommissarin in den Dienst zurück und übernimmt die Suche nach einer vermissten jungen Frau. Kurz drauf wird die Leiche eines ertränkten Jugendlichen gefunden. Offenbar gibt es einen Zusammenhang zwischen den beiden Ereignissen, wobei noch gar nicht klar ist, ob die Frau nicht womöglich freiwillig verschwunden ist. Als Bonì rausfindet, dass offenbar ein Kollege in die Sache verwickelt ist, muss sie den Fall auf eigene Faust lösen, denn trauen kann sie niemandem mehr.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Bertele, die im Gegensatz zu Hollinger vor "Begierde" keinerlei Krimierfahrung hatte, konzentriert sich bei ihrer Inszenierung diesmal stärker auf die typischen Zutaten des Genres. Kurze, rückblendenartige Einschübe wecken die Neugier, sämtliche Mitwirkende (mit Ausnahme der Kommissarin) verhalten sich verdächtig. Auch die optische Umsetzung (Kamera: Jörg Widmer) ist weniger ungewöhnlich, selbst wenn einige Innenaufnahmen durch extreme Lichtsetzung auffallen: Bonìs großzügige Wohnung ist in einem ungesunden Gelbgrün gefilmt, der Vernehmungsraum im Revier dafür fast strahlend weiß. Die Titelfigur wiederum, im ersten Film noch eine einsame Wölfin, wirkt diesmal viel fragiler und bemüht sich, ein normales Leben zu führen; wäre da nicht die ständige Versuchung durch den Teufel Alkohol. Foroutan verkörpert die Kommissarin dennoch unnahbar; dazu passt, dass Bonìs gelegentliche Gefühlsregungen ähnlich unecht wirken wie bei einem Menschen, der bloß vorgibt, über Empathie zu verfügen.
Die Handlung entspricht dagegen einer ganz normalen Krimigeschichte, und auch die Verrätselung ist nicht immer plausibel. Nadine (Livia Matthes) ist tatsächlich entführt worden, konnte sich aber irgendwie befreien; zwei Schwestern haben sie in Sicherheit gebracht. Die beiden betagten Frauen werden jedoch von Hollinger unnötig mysterisiert; der Hinweis auf ihre KZ-Vergangenheit zum Beispiel ist unnötiger Ballast. Und während es völlig plausibel ist, dass Nadine nicht zur Polizei gehen kann, weil sie fürchten muss, dass die Ermittler den Entführer decken, bleibt bis zum Schuss unbeantwortet, warum sie sich nicht längst bei ihrem besorgten Vater (Rainer Bock) gemeldet hat. Das hat offenbar vor allem dramaturgische Gründe: Auf diese Weise kann Bonì auch ihn in den Kreis der Verdächtigen aufnehmen. Etwas zuviel Platz räumt das Drehbuch zudem dem Vater des ermordeten Jungen ein. Der Mann zählt zwar ebenfalls zu den Verdächtigen, ist aber letztlich bloß eine Nebenfigur. Juergen Maurer verkörpert ihn allerdings hingebungsvoll als Prachtexemplar eines Proletariers; womöglich war Bertele derart begeistert von seiner Leistung, dass sie die Rolle kurzerhand etwas aufgeblasen hat.