Berlin (epd)Johannes-Wilhelm Rörig hat eindringlich an die Bundesregierung appelliert, für einen besseren Kinderschutz in Flüchtlingseinrichtungen zu sorgen. Er forderte die Koalition am Donnerstag in Berlin auf, das Asylpaket II entsprechend zu korrigieren. Gemeinsam mit dem Zentralrat der Muslime stellte Rörig außerdem eine Vereinbarung vor, wonach in muslimischen Einrichtungen stärker auf die Gefahr sexueller Gewalt und Hilfsangebote aufmerksam gemacht werden.
Rörig warnte vor sexuellen Übergriffen auf Flüchtlingskinder. Mehr als 100.000 lebten unter teilweise dramatischen Bedingungen in Einrichtungen und Erstaufnahmezentren. Erwachsene hätten es leicht, Nähe zu diesen Kindern herzustellen. Die Gefahr gehe von Helfern, Personal und Bewohnern aus, sagte Rörig. Beratungsstellen für Missbrauchsopfer seien bereits in diversen Fällen hinzugezogen worden. Die Opfer gingen in der Regel nicht an die Öffentlichkeit. Zahlen gebe es nicht, sagte Rörig, nur Berichte über Einzelfälle. Der bekannteste Fall ist die Entführung, sexuelle Misshandlung und Ermordung des Jungen Mohamed in Berlin.
Führungszeugnisse erfassen unentdeckte Täter nicht
Rörig warnte, es sei "absolut fahrlässig" zu glauben, zum Schutz der Kinder reiche es aus, von Beschäftigten ein erweitertes Führungszeugnis zu verlangen. Ersttäter und bislang unentdeckte Täter würden damit nicht erfasst. Im erweiterten Führungszeugnis ist festgehalten, ob eine Person wegen sexueller Übergriffe vorbestraft ist. Beschäftigte in Kinder- und Jugendeinrichtungen müssen ein solches Zeugnis vorlegen. Im Asylpaket II ist vorgesehen, dass dies künftig auch für das Personal in Flüchtlingseinrichtungen gelten soll.
Rörig forderte die Bundesregierung auf, die EU-Schutzstandards für Flüchtlinge zu erfüllen. Er bedaure, sagte er, dass die Umsetzung der entsprechenden EU-Richtlinie aus dem Asylpaket II wieder gestrichen worden sei. Es fehle nun eine gesetzliche Verpflichtung für alle Träger von Flüchtlingseinrichtungen, Schutzmaßnahmen gegen sexualisierte Gewalt zu ergreifen. Dazu gehören Schulungen des Personals, sowie getrennte Unterbringungsmöglichkeiten und Sanitäranlagen.
EU fordert Umsetzung ihrer Richtlinie
Die Bundesregierung war erst am Mittwoch von der EU-Kommission aufgefordert worden, die Richtlinie innerhalb von zwei Monaten umzusetzen. Am Donnerstag hatten Union und SPD ihren Streit um den Familiennachzug beigelegt und damit den Weg freigemacht für die Beratung des Asylpakets II im Parlament. Danach bleibt es dabei, dass Minderjährige mit eingeschränktem Schutz zwei Jahre lang keine Anträge auf einen Nachzug ihrer Eltern stellen können. Dies soll nur in Ausnahmefällen möglich sein.
Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, kritisierte die Einigung. In Deutschland lebten 60.000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Sie müssten ihre Eltern nachholen können, sagte er. Eltern seien der wichtigste Schutz für Kinder. Mazyek erinnerte daran, dass laut Bundeskriminalamt rund 5.000 junge Flüchtlinge als vermisst gelten: "Ich vermisse einen Aufschrei in der Gesellschaft."
Rörig und Mazyek stellten gemeinsam eine Vereinbarung vor, wonach in muslimischen Einrichtungen stärker über die Gefahren sexueller Gewalt sowie über Hilfsangebote informiert werden soll. Auftakt ist ein gemeinsamer Informations-Flyer auf Türkisch, Hocharabisch und Deutsch. Man wolle an einer "Kultur des Hinschauens und Ansprechens" arbeiten, erklärten die Kooperationspartner.
Rörig: Jedes zehnte Kind hat Missbrauchserfahrung
Nach Angaben des Missbrauchsbeauftragten muss davon ausgegangen werden, dass jedes zehnte Kind Missbrauchserfahrungen macht. Die Dunkelziffer ist hoch. Pro Jahr werden 12.500 Strafverfahren wegen sexuellen Missbrauchs eingeleitet.
Unter den 13 Millionen Kindern in Deutschland sind eine Million mit muslimischer Herkunft. Rörig hofft auf Kooperationen mit weiteren Islam-Verbänden. Auch andere Organisationen haben mit ihm Vereinbarungen geschlossen, darunter die Kirchen, Wohlfahrts- und Sportverbände. Das Ziel ist, in allen Kinder- und Jugendeinrichtungen Schutzkonzepte gegen sexuelle Gewalt zu verankern.