Til Schweiger, als Autor, Regisseur, Produzent und Hauptdarsteller erneut für das komplette Werk verantwortlich, hatte die Entscheidung leicht gemacht, auch wenn die in aller Pracht ausgestellten primären und sekundären Geschlechtsorgane offenkundig unecht sind. Das dialogische Kernstück des Films, ein Seminar am Küchentisch über die patriarchalischen Hintergründe der Intimrasur, ist im Gegensatz zur Vorlesung über Oralsex in "Keinohrhasen" allerdings ganz und gar jugendfrei.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
"Zweiohrküken" sieht genauso aus wie "Keinohrhasen" (sogar das Kinoplakat war identisch), weil Schweiger und Kameramann Christof Wahl wieder das gleiche ästhetische Konzept entworfen haben. Die sepiasatten Sommerfarben suggerieren eine Hochstimmung, der die Geschichte jedoch nur bedingt gerecht wird, denn die Fortsetzung beginnt gnadenlos realistisch: männlicherseits mit achtlos irgendwo hingeworfenen Klamotten, dreckigen Fußballschuhen, vergessenen Einkäufen und einem Schrank voller Leergut, weiblicherseits mit einem Monolog voller Vorwürfe. Mit einem Wort: Der Lack der Beziehung von Ludo (Schweiger) und Anna (Nora Tschirner) ist ganz schön ab. Und dann taucht auch noch Marie (Edita Malovcic) auf, Sexbombe und eine von Ludos vielen Exxen. Dabei ist der durchaus treu, die wahre Gefahr für die Beziehung heißt Ralf (Ken Duken), ist Entwicklungshelfer und nistet sich direkt im Nest des früheren Liebespaares ein. Ralf ist auch ein Ex, aber von Anna, und Ludo (Ralf nennt ihn penetrant Lupo) staunt nicht schlecht, als er in ihrer zufällig gefundenen Liebhaberliste das Wort "Eiffelturm" liest; noch mehr staunt er, als er entdeckt, dass das Prädikat absolut angebracht ist.
Schweiger und Koautorin Anika Decker erzählen die Geschichte dieses Lebens nach dem Happy End allerdings alles andere als linear. Zwischendurch wirkt der Film wie eine Sketch-Comedy. Die Gags sind zwar um Längen besser, aber das dramaturgische Konzept ist identisch: Es geht darum, möglichst viele Pointen unterzubringen. Das war bei "Keinohrhasen" zwar ganz ähnlich, aber die Zwischenräume kamen einem nicht wie Warten vor. Deshalb erinnert die Fortsetzung mitunter an die Disney-Strategie, den zweiten Teil eines Kinoknüllers nur auf DVD zu veröffentlichen, weil er mindestens eine Nummer kleiner daher kommt. Nur wer "Keinohrhasen" nicht kennt, wird "Zweiohrküken" rückhaltlos mögen.
Wiedersehen mit Nora Tschirner
Alle anderen dürfen sich immerhin über ein Wiedersehen mit der wunderbaren Nora Tschirner freuen. Und natürlich sind die vielen oftmals bloß winzigen Gastauftritte (Yvonne Catterfeld, Wladimir Klitschko, Thomas Heinze, Elyas M’Barek) auch hier sehr hübsch. Besonders liebevoll gestaltet: Uwe Ochsenknecht als Flirt-Akademiker mit fragwürdigen Anmachsprüchen und Heiner Lauterbach als alternder Charmeur, der Ludo anbaggert, weil er ihn für eine Frau hält. Tatsächlich hat sich Ludo für ein Kostümfest als Ginger Rogers verkleidet, sieht dabei aber aus wie Suzanne von Borsody.
Matthias Schweighöfer ist als Kumpel Moritz auch wieder mit von der Partie. Gemeinsam mit Schweiger sorgt er für eine herrliche Slapstick-Einlage. Die wichtigsten Bestandteile dieser Szene sind ein Klo in der Wohnung der schönen Lana (Pegah Ferydoni), das nicht abgespült werden kann, sowie eine Tüte mit entsprechend anrüchigem Inhalt, die Moritz vergessen hat und die er unbedingt an sich bringen muss, bevor Lana wieder nach Hause kommt. Obwohl die zotigen Zutaten – Lana ist außerdem sexsüchtig – nach finsterster Klamotte klingen, inszeniert Schweiger diese Szene so brillant, dass man Tränen lachen muss.