Berlin (epd)Die erfundene Geschichte über den Tod eines syrischen Flüchtlings in Berlin hat bei Politikern und ehrenamtlichen Helfern Fassungslosigkeit ausgelöst. Nach dem Aufdecken der Lüge eines Flüchtlingshelfers wurde vor allem in sozialen Netzwerken die Arbeit der Ehrenamtlichen kontrovers diskutiert. Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) forderte am Donnerstag rechtliche Konsequenzen für den Mann, der die Meldung verbreitet hatte.
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Der Berliner Flüchtlingshelfer Dirk V. hatte am späten Mittwochabend bei einer Vernehmung durch die Polizei gestanden, dass er sich die Geschichte über den Tod eines jungen Syrers ausgedacht habe. Zuvor hatte er über soziale Netzwerke berichtet, dass ein 24-jähriger Syrer in der Nacht zuvor nach langem Warten vor dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) gestorben sei. Der Mann sei schwer erkrankt gewesen und habe im Rettungswagen einen Herzstillstand erlitten, hatte V. auf Facebook behauptet.
"Das ist eine der miesesten und perfidesten Aktionen, die ich jemals erlebt habe", erklärte Berlins Innensenator Henkel nach der Aufdeckung der Lüge. Er plädierte dafür, rechtliche Konsequenzen "gegen den Urheber dieses Lügengebildes" zu prüfen. Henkel verwies darauf, dass die Berliner Behörden über Stunden mit hohem Aufwand nach dem erfundenen Toten gesucht hatten. "Geschadet wurde auch den vielen Ehrenamtlichen, die in unserer Stadt jeden Tag wichtige Arbeit leisten", sagte der Innensenator.
Die Berliner Polizei sieht in dem Vorfall allerdings keinen Straftatbestand. Der Flüchtlingshelfer sei als Zeuge vernommen worden, sagte ein Polizeisprecher auf Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd). Derzeit gebe es keine weiteren Ermittlungen gegen ihn. Zum Motiv des Mannes wollte sich die Polizei nicht äußern. Der Flüchtlingshelfer habe eine Begründung für seine Lüge angegeben. Es sei aber nicht Aufgabe der Polizei diese weiterzugeben. "Das soll der Mann selber sagen", betonte der Sprecher. Auch zu weiteren Hintergründen des Vorfalls wollte sich die Polizei mit Verweis auf das Persönlichkeitsrecht von V. nicht äußern.
Helfer der Flüchtlingsinitiative "Moabit hilft" äußerten sich am Donnerstag schockiert. Die Pressesprecherin der Initiative, Diana Henniges, räumte ein, dass man einen großen Fehler gemacht habe. "Moabit hilft" müsse sich professionalisieren, man müsse aus den Fehlern lernen, sagte Henniges am Donnerstag im RBB-Hörfunk. "Wir sind eben kein mittelständisches Unternehmen, das Fußleisten herstellt, sondern Ehrenamtler. Wir werden künftig besser überprüfen und intensiver miteinander sprechen müssen", betonte Henniges.
Mehr Sachlichkeit gefordert
Die Initiative musste am Donnerstag selbst viel Kritik vor allem in den sozialen Medien einstecken. "Moabit hilft" hatte den mutmaßlichen Tod des Flüchtlings zunächst als direkte Folge der unhaltbaren Zustände am Lageso dargestellt, schwere Vorwürfe gegen Senat sowie Behörde erhoben und eine Todesanzeige veröffentlicht. "Dieser Vorgang ist unglaublich", erklärte ein Facebook-Nutzer. Einzelne Stimmen forderten in dem sozialen Netzwerk ein Stopp der freiwilligen Hilfe für Flüchtlinge. Viele Facebook-Kommentatoren ermutigten die Initiative jedoch, trotz des umstrittenen Vorfalls ihre ehrenamtliche Flüchtlingsarbeit fortzusetzen.
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, sagte in München, in die derzeit "aufgeheizte Diskussion" müsse mehr Sachlichkeit einziehen. Fakten müssten in alle Richtungen geprüft und auch genannt werden. Ansonsten spiele man Rechtspopulisten in die Karten. In den sozialen Netzwerken finde vor allem nach den Vorfällen in der Silvesternacht in Köln eine "Verblasung" statt. User bewegten sich nur noch in Räumen, wo ihre eigene Meinung bekräftigt werde. Für Gegenargumente seien sie nicht empfänglich.
Kritik gab es auch an den Medien. Innensenator Henkel sprach von einem "Warnsignal". Mit Blick auf die Berichterstattung der vergangenen Tage sprach sich der CDU-Politiker dafür aus, "wieder etwas Tempo rauszunehmen". Wenn erfundene Skandalgeschichten aus dem Internet "das Meinungsklima in unserem Land bestimmen, dann bekommen wir ein echtes Problem", sagte er.