Frankfurt a.M. (epd)Mit einem Ingenieurstudium glauben sich viele Studierende auf der sicheren Seite: Der deutschen Wirtschaft fehlen Ingenieure und überhaupt Absolventen im technisch-naturwissenschaftlichen Bereich - darauf weisen Fachverbände wie der Verband der Ingenieure seit Jahren hin. Der Fachkräftemangel in den MINT-Fächern - Mathe, Informatik, Naturwissenschaften und Technik - sei bedrohlich für das "Geschäftsmodell Deutschland" und bremse Innovationen aus, warnt auch das arbeitgebernahe Institut der Deutschen Wirtschaft (IW). Doch die Wahrheit am Jobmarkt sieht oft schon anders aus.
Über Bedarf ausgebildet
"Schulabgänger haben diese jahrelangen Appelle verinnerlicht und darauf reagiert", sagt Arbeitsmarktforscher Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). In seiner aktuellen Analyse zur Arbeitslosigkeit unter Akademikern kommt er zu einem ganz anderen Ergebnis als das IW: Gerade bei den stark beworbenen Studienrichtungen wie dem Ingenieurswesen, im IT-Bereich und auch bei den Humanmedizinern steigt nach seinen Berechnungen die Arbeitslosigkeit unter den Absolventen.
"Es wurde offenbar über Bedarf ausgebildet", erläutert Brenke. "Die deutsche Wirtschaft hat mit ihren Dauerklagen einen klassischen Schweinezyklus erzeugt." Das heißt: Ruft eine Gesellschaft nach mehr Schweinefleisch, brauchen die Ferkel trotzdem eine Weile, um heranzuwachsen - wie Auszubildende eines angeblichen Mangelberufs. Hat sie nach mehr gerufen, als sie braucht, sind die vielen Schweine trotzdem da und werden verramscht - im einstigen Mangelberuf steigt die Arbeitslosigkeit statt der Löhne. Und genau dafür sieht Brenke im technisch-naturwissenschaftlichen Bereich erste Anzeichen.
Fast 60 Prozent eines Jahrgangs beginnen Brenkes Studie zufolge mittlerweile ein Hochschulstudium. Das seien fast doppelt so viele wie vor 20 Jahren. Besonders stark seien die Studierendenzahlen in den vergangenen Jahren in Ingenieursstudiengängen, Informatik, Mathematik und Medizin gestiegen.
Arbeitslosigkeit gestiegen
Während es vor zehn Jahren knapp 250.000 Erstsemester bei den Ingenieurswissenschaften gab, sind es heute etwa 300.000 mehr, wie die Hochschulstatistik des Statistischen Bundesamtes zeigt. "Der Arbeitsmarkt nimmt sie trotz guter Konjunktur nicht alle auf", warnt Brenke. Um jeweils ein Drittel sei die Arbeitslosigkeit von Industrie-Ingenieuren und IT-Experten gestiegen, die von Physikern und Ärzten gar um 50 Prozent.
In absoluten Zahlen hört sich das weniger dramatisch an: Auf etwa 18.000 Personen ist die Arbeitslosenzahl der industrienahen Ingenieure gestiegen, auf 8.500 die der Informatiker. "Der Trend ist aber erheblich", sagt Brenke.
Von einem Schweinezyklus möchte Axel Plünnecke vom IW besonders bei den Ingenieuren, aber auch bei anderen MINT-Berufen nicht sprechen. Im Gegenteil: "Trotz der Rekordzahlen bei den Hochschulabsolventen ist die Arbeitslosigkeit bei Ingenieuren nur von 1,8 auf 2,3 Prozent gestiegen", sagt der Professor. Das sei quasi Vollbeschäftigung. Und: In Zukunft sei wieder an Mangel an Ingenieuren zu erwarten, "allein wegen der demografischen Entwicklung", sagt der Forscher. Deutschland brauche also MINT-Experten, um produktiv zu bleiben.
Lehrlinge fehlen
So mangelt es in dem Bereich an 160.000 Arbeitskräften, wie auch der vom IW für verschiedene Wirtschaftsverbände erstellte MINT-Report zeigt. Zugleich fehlten aber auch Lehrlinge im handwerklichen Bereich, sagt Plünnecke.
Diese Lücke findet auch Brenke vom DIW besonders bedenklich. "Es ist volkswirtschaftlich nicht wünschenswert, immer mehr Studienabgänger zu haben, während die praktische Ausbildung schwächelt." Generell von einem Ingenieursstudium abraten würde er Schulabgängern aber auch nicht. "Wer dafür brennt, wird seinen Weg machen", sagt der Forscher. "Wer es aber nur macht, um einen sicheren Job zu haben, könnte enttäuscht werden."