Jörg Bollmann: "Es ist manchmal unmöglich, die Wahrheit zu finden"

Sprechblasen aus Papier vor einem Mikrofon.
Foto: Getty Images/iStockphoto/BrianAJackson
Jörg Bollmann: "Es ist manchmal unmöglich, die Wahrheit zu finden"
Dokumentation des Vortrages vom Christlichen Medienkongress
Vortrag von Jörg Bollmann, Direktor des Gemeinschaftswerkes der Evangelischen Publizistik (GEP), gehalten am Samstag, 16. Januar 2016, beim Christlichen Medienkongress in Schwäbisch Gmünd. Das Thema: "Die Wahrheitsfrage der Medien: Was dürfen wir berichten?"

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

es gibt zwei Traditionen für den christlichen Medienkongress. Erstens: Es schneit. Seit gestern sind wir eingeschneit. Und zweitens: Wir reden über Fußball. Das machen wir jetzt. Wir reden über Bayern München. Das Spiel der Bayern in Hannover. Nein, nicht dieses langweilige 1:0 für München am Ende der Hinrunde. Ich möchte über den 16. April sprechen, vor 28 Jahren. Am 16. April 1988 wurden 60.000 Zuschauer Zeuge, wie Pflügler die Bayern früh mit 1:0 in Führung gebracht, Hobday ausgeglichen und Grillemeier das 2:1 geschossen hatte. Und dann brachen die letzten Minuten an:

(Audioeinspielung:)

Da ist Hobday da – phantastisch. Pass nach vorne, in den Lauf von Siggi Reich,  das ist die Konterchance für Hannover 96. Siggi strebt dem Tor zu, Pass auf Suhrman, der ist etwas weit abgedrängt, über Pfaff hinüber, nun schieß doch Junge, nun schieß doch – und der Ball geht nicht ins Tor. Das darf doch nicht wahr sein! Sechs Meter vor dem Tor steht Siggi Reich und mit dem rechten Fuß da bringt er es fertig, den Ball am leeren Tor vorbeizuschießen. 

Sie haben's gehört: Der junge Reporter – ich war damals grade 30 Jahre alt – war ziemlich böse auf die Sturmspitze der 96er, Siggi Reich. Wie kann der freistehend vorm Bayern-Tor am damaligen Torhüter Pfaff scheitern? Empörend, oder!? Ja, mag sein. Dabei hätte der junge Reporter ja böse auf sich selbst sein können. Denn stimmt die Reportage eigentlich, für die er auch später noch viel Lob bekommen hat? War es wirklich Hobday, der den Ball geklärt hat. War es wirklich Hobday, der den Flankenlauf angesetzt und den Ball gepasst hat? Und war es wirklich Siggi Reich, der da freistehend vor dem Bayern-Kasten so kläglich versagte? Oder war das Hobday? Als der junge Reporter in der Sportschau am Abend die Spielszene nachverfolgen konnte, kam er der Wahrheit näher. Und daran muss er immer denken, wenn er die Reportage wieder hört – zum Beispiel auf einem Medienkongress in Schwäbisch-Gmünd.

Die Medien und die Wahrheit?

Wahr ist: Die damaligen Kabinen für die Radioreporter im hannoverschen Niedersachsenstadion waren auf der Gegengeraden angebracht. Auf ist das richtige Wort: Hinter der letzten Reihe ganz oben. Mit dem bloßen Auge ein Spiel verfolgen hatte etwas von "ich guck mal aus dem Flugzeug zu", die Spieler hatten die Größe von "Mensch ärgere Dich nicht"-Figuren. Die Ausstattung der Hörfunkreporter bestand aus einem Mikro, einem Kopfhörer und – wenn’s richtig Luxus sein sollte – einem selbst mitgebrachten Fernglas. Los ging die Live-Reportage. Die Hörfunkkollegen 2016 haben besser ausgestattete Arbeitsplätze – mit Bildschirmen für die Live-Bilder und die Zeitlupen. Die kommen der Wahrheit schon näher.

Wer den Wahrheitsanspruch an Medien stellt, der muss sich als Erstes klar machen, welche Instrumente eigentlich zur Verfügung stehen, um der Wahrheit zu entsprechen und – wie gefordert –  zu vermitteln.

Seht ihr den Mond dort stehen?
Er ist nur halb zu sehen,
Und ist doch rund und schön!
So sind wohl manche Sachen,
Die wir getrost belachen,
Weil unsre Augen sie nicht sehn.

Der Kollege Matthias Claudius sprach schon im 18. Jahrhundert in seinem berühmten Liedvers an, wie schwer es ist, die Wahrheit zu entdecken, wie sehr es auf die Perspektive ankommt und dass es manchmal geradezu unmöglich ist, die Wahrheit zu finden. Ich sage Kollege, weil Matthias Claudius als Journalist und Redakteur gearbeitet hat – unter anderem bei der berühmten Tageszeitung "Der Wandsbeker Bote" – und sich mit demselben Problem auseinandersetzen musste, vor dem die Medien seit Menschengedenken stehen. Wie wahrhaftig sind wir? Wie rücken wir der Wahrheit näher? Wer nichts von den Gestirnen weiß, wer denkt, die Erde sei eine Scheibe, und wer dann am Himmelszelt eine güldene Sichel entdeckt, der hält dieses ausgeschnittene Stück Himmelsvision für die Wahrheit – er sieht sie ja! Nur wer mehr weiß, nur wer den Lauf der Planten kennt, nur wer die Bilder der Gestirne vor Augen hat, kann erkennen, dass sich hinter der Sichel noch weit mehr verbirgt. Aber ist der Eindruck, den wir durch physikalische, astronomische und raumfahrttechnische Erkenntnisse haben, denn die ganze Wahrheit? Oder müssen wir viel mehr noch als Albert Einstein relativieren? Jedenfalls sollten wir, das mahnt uns der tief gläubige Matthias Claudius, wir sollten demütig sein. Wir sollten anerkennen, dass wir die Wahrheit oft gar nicht finden können.

Wir stolze Menschenkinder
Sind eitel arme Sünder
Und wissen gar nicht viel;
Wir spinnen Luftgespinste
Und suchen viele Künste
Und kommen weiter von dem Ziel.

Welchen Sinn macht es also, Medien mit einem absoluten Wahrheitsanspruch zu überziehen und sie damit, wenn wir das christliche Demutsgebot ernst nehmen, heillos zu überfordern? Das 21. Jahrhundert ist gekennzeichnet durch eine Überflutung von medialer Kommunikation. Ich muss das in diesem Kreis nicht ausführen, nur andeuten: Klassische Medien wie Tages-, Wochenzeitung, Magazine, lineares Fernsehen, Hörfunk, Nachrichtenplattformen online, soziale Medien mit unter anderem Facebook, WhatsApp, Twitter etc. Eine Überflutung! Deren Kennzeichen: Es sind nicht mehr nur medienethisch geschulte Produzenten, sondern es sind alle online-fähigen Menschen, die sich als Produzenten betätigen können. Und das auch tun! Die Abrufzahlen bei YouTube, die Kommunikationsdaten bei Facebook und Co sind gigantisch. Bei YouTube werden minütlich Videos im Volumen von 300 Stunden heruntergeladen, was im Vorjahresvergleich einem ein Zuwachs von 72 Stunden entspricht.

Es reicht kaum noch aus, die Macher der konventionellen Medien an seriöse Recherche, den Anspruch an Wahrhaftigkeit und Medienethik zu erinnern. Wir benötigen in unserer modernen Gesellschaft auf der anderen Seite auch kompetente Mediennutzer. So wie eine Demokratie aufgeklärte, mündige, gut informierte Bürger benötigt. Die nicht auf die Hass- und Propagandavideos der IS reinfallen, die Berichterstattung über die Krim nach russischen, ukrainischen und westeuropäischen Quellen unterscheiden können, die den Unterschied von Sachverhaltsdarstellung, Kommentar und Analyse kennen und die übrigens auch mit dem Anspruch "in dubio pro reo" was anfangen können. Wer in einer Demokratie leben, deren freiheitlich-liberale Vorzüge genießen möchte, muss sich aktiv darum bemühen. Sich zu informieren über Funktionsweisen der staatlichen Systeme, sich zu informieren über Sachverhalte des Nachrichtentages, sich zu informieren über politische Programme und ihre Konsequenzen gehört zum Einmaleins in einer Demokratie. Und zum Pflichtprogramm für diejenigen, die in einem solchen Staatssystem leben möchten. Dazu ist es auch unabdingbar, sich Medienkompetenz anzueignen. Jede Bürgerin, jeder Bürger muss wissen, wie die Wahrnehmung von medial vermittelten Inhalten so gelingen kann, dass sie aufklärerische und nicht verschleiernde Wirkung entfalten. Natürlich gehört es in der Addition dazu, gut ausgebildete Journalistinnen und Journalisten zu fordern, die ihr Handwerk von der Pike aus gelernt haben und die wissen, welchen ethischen Ansprüchen, welchen Wahrhaftigkeitsansprüchen sie sich stellen müssen und wo die Grenzen sind. Dass nämlich die vollständige Wahrheit nicht zu ermitteln ist – weder von Journalisten, noch von empirischen Sozialwissenschaftlern, und auch nicht von Theologen. Wer von sich sagen kann, er sei Christ, darf, ja muss sofort differenzieren: evangelisch oder katholisch, lutherisch, uniert oder reformiert, oder gar orthodox, vielleicht auch baptistisch. Was ist die Wahrheit?

Die Tageszeitung "Die Welt" berichtet am 31. Oktober 2015:

Ein russisches Flugzeug ist über einer Unruhe-Region auf der Sinai-Halbinsel abgestürzt. Der ägyptische Ableger der Terrormiliz IS behauptet auf seinem Twitter-Konto, für das Unglück verantwortlich zu sein. Die ägyptischen Behörden gehen nach Angaben aus Sicherheitskreisen von einem technischen Defekt aus, ein Terroranschlag wurde am Morgen ausgeschlossen. Moskau reagierte ebenfalls mit Skepsis auf die IS-Bekennerbotschaft. Bei dem Absturz des Airbus A321 auf dem Weg von Sharm el Sheikh nach St. Petersburg sind alle 224 Menschen an Bord ums Leben gekommen.

Was ist die Wahrheit?

Nach allem, was wir inzwischen wissen, ist folgendes wahr: Bei dem Absturz des Airbus A321 auf dem Weg von Sharm el Sheikh nach St. Petersburg sind alle 224 Menschen an Bord ums Leben gekommen. Es hat einen Absturz gegeben, es war ein Airbus, es waren 224 Passagiere an Bord, alle sind tot, das Flugzeug wollte nach St. Petersburg und kam von Sharm el Sheikh.

Wahr ist auch: Verschiedene Quellen gehen von unterschiedlichen Ursachen aus. Die Terrormiliz IS sagt Anschlag, die ägyptischen Behörden sagen technischer Defekt, Moskau sagt, Russland hält es für unwahrscheinlich, dass es einen Anschlag gegeben hat. Interessant: Die IS meldet sich per Twitter.

Ist das denn wahr? Ist die Sinai-Halbinsel eine Unruhe-Region? Wieso? Seit wann? Wer schafft die Unruhe? Was heißt Unruhe – Krieg, Bürgerkrieg, dauernde Terrorangriffe, wenn wie viele an einem Tag, in einer Woche, in einem Monat?

Wie viele Informationen können medienerfahrene Rezipienten rausfiltern?

  1. Es ist ein schreckliches Unglück passiert.
  2. Ob das Unglück ein Gewaltakt war, ist unklar.
  3. Bemerkenswert: Diejenigen, die für den Gewaltakt verantwortlich sein könnten, behaupten, dass es einer war. Diejenigen, die betroffen sind, streiten ab oder sind skeptisch.
  4. Schlussfolgerung 1: Mindestens eine Quelle, die zur Absturzursache Stellung nimmt, verfolgt propagandistische Absichten.
  5. Schlussfolgerung 2: Diejenigen, die behaupten, Verursacher zu sein, haben ein Interesse, dass die Welt das so wahrnimmt. Was könnten die Gründe sein? Angst und Schrecken verbreiten, wäre ein solcher möglicher Grund.
  6. Schlussfolgerung 3: Diejenigen, die abstreiten, dass es ein Gewaltakt war, haben auch ein Interesse, dass die Welt das so wahrnimmt. Was könnten die Gründe sein? Nicht verwundbar erscheinen, vielleicht. Und andere.

Was ist die Wahrheit? Wer nicht in der Lage zur kompetenten Medienrezipienz ist, wird die Wahrheit nicht erkennen. Schlimmer noch: Er wird Dinge für Wahrheit halten, die weit entfernt davon sind. Wer in der Lage zur kompetenten Medienrezipienz ist, wird wissen, dass es keine objektiv erkennbare Wahrheit gibt. Aber Die Welt hat es ihm möglich gemacht, die unterschiedlichen Facetten der Darstellung, die unterschiedlichen Perspektiven wahrzunehmen, so dass der aufgeklärte Mediennutzer mit dem Hintergrundwissen, das er ohnehin hat, sich ein Puzzle der Geschehnisse zusammenbauen kann. Und dann in der Lage ist, selbst darüber zu befinden, wie nah er der Wahrheit wohl gekommen ist. Und er weiß ja, dass in den Berichterstattungen der Folgetage- und wochen weitere Puzzleteile zusammenkommen werden, die näher an die Wahrheit heranführen. Was er aber auch weiß: Hüte Dich vor vorschnellen Schlüssen!

Komplizierter wird es, wenn es um die Integrität von Personen geht. Beispiel: Am 17. Februar 2012 trat Christian Wulff vom Amt des Bundespräsidenten zurück. Einen Tag zuvor hatte die Staatsanwaltschaft Hannover die Aufhebung seiner Immunität wegen Verdachts der Vorteilsannahme beantragt, um Ermittlungen beginnen zu können. Die Medien hatten Wochen zuvor täglich von Vorwürfen gegen Wulff berichtet, die dieser jeweils abstritt, was ihm aber – je länger die Berichterstattung andauerte – kaum noch jemand glaubte. Kaum ein Thema war die Wertigkeit des in einer Demokratie geltenden Grundsatzes: "In dubio pro reo." Und so führte der mediale Druck für Wulff beinahe zwangsläufig zum Rücktritt – ein dramatischer Einschnitt in den Lebenslauf dieses Politikers.

Was ist die Wahrheit? Wir kennen den Ausgang des Rechtsverfahrens: Nach 13 Monaten Ermittlungen erhob die Staatsanwaltschaft Hannover im März 2013 den Vorwurf der Bestechlichkeit über 400 Euro und beantragte den Erlass eines Strafbefehls über 20.000 Euro gegen Wulff. Am 27. Februar 2014 wurde Wulff freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft legte am 5. März 2014 Revision gegen das Urteil ein, nahm diese am 13. Juni aber wieder zurück, so dass der Freispruch rechtskräftig ist.

Was ist die Wahrheit? Wir kennen die politische Konsequenz: Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland ist seit dem 18. März 2012 Joachim Gauck.

Sind Medien denn lernfähig? Ich behaupte, sie sind es. Denken wir an die Geiselnahme von Gladbeck. Am 16. August 1988 überfielen Dieter Degowski und Hans-Jürgen Rösner die Filiale der Deutschen Bank im nordrhein-westfälischen Gladbeck, nahmen im Anschluss mehrmals Geiseln und flüchteten zwei Tage lang durch Deutschland und die Niederlande. Die Geiselnahme endete am 18. August 1988 blutig auf der Autobahn 3 bei Bad Honnef. Die Opfer des Verbrechens waren der 15-jährige Italiener Emanuele De Giorgi und die 18-jährige Silke Bischoff. Die Medien boten ein erbärmliches Bild: Wir erinnern uns an die Szenerie in der Kölner Innenstadt, an die Interviews vor dem entführten Bus in Bremen. Kolonnen von Autos mit Journalistinnen und Journalisten jagten in der Nacht vom 16. auf den 17. August hinter dem Bus mit Geiseln und Geiselgangstern hinterher. Ich denke noch voller Scham daran zurück, als junger Redakteur am Newstisch von Radio ffn miterlebt zu haben, wie ein Kollege in der Bank anrief, stolz verkündete, er habe ein Interview mit einem der Geiselgangster geführt, wie der Sender das Gespräch dann ausstrahlte, an die Agenturen weitergab und dpa den Wortlaut veröffentlichte. Und dann folgten die Interviews mit den Geiselgangstern an unterschiedlichen Orten, gesendet unter anderem in der ARD-Tagesschau und in ZDF-Heute.

Was ist die Wahrheit? Hier haben die Medien fast vollständig versagt, Grenzen überschritten, die nie übertreten werden durften. Hier wurde live und ungefiltert die Perspektive der Verbrecher als Teil der Wirklichkeit ausgestrahlt, was nie hätte passieren dürfen. Aber wahr ist auch, dass die Medien in Deutschland danach in einen Reflexionsprozess eingestiegen sind, der dazu geführt hat, dass so etwas bis jetzt nicht wieder passiert ist. Dieses Totalversagen der Medien wird hoffentlich die Ausnahme bleiben.

Und die Verantwortung der Medien? Die gibt es!

Am 25. März 1996 wurde Jan Philipp Reemtsma auf seinem Grundstück in Hamburg überwältigt und entführt. Wenige Tage später erreichte die Redaktionen in Deutschland eine Mitteilung der Polizei. Eine wohlhabende bekannte Person sei Opfer einer Entführung geworden, hieß es. Um das Leben dieser Person zu schützen, bat die Polizei darum, von Recherche und Berichterstattung unbedingt abzusehen. Wir haben uns alle daran gehalten! Ein in meinem journalistischen Erleben einmaliger Vorgang. Am 26. April 1996, 43 Stunden nach der Zahlung des geforderten Lösegeldes, wurde Jan Philipp Reemtsma 33 Tage nach seiner Gefangenschaft im südlichen Stadtgebiet Hamburgs freigelassen. Erst danach begannen die Medien mit der Berichterstattung. Der Haupttäter Thomas Drach wurde 1998 in Argentinien verhaftet und an Deutschland ausgeliefert. 2001 wurde Drach zu 14 Jahren und 6 Monaten Haft verurteilt und am 21. Oktober 2013 unter Auflagen aus der Haft entlassen.

Was ist die Wahrheit? Die Wahrheit ist, dass in Rücksichtnahme auf das Leben von Jan Philipp Reemtsma alle bundesdeutschen Medien auf eine quoten- und reichweitenträchtige Berichterstattung verzichteten. Die Wahrheit ist, dass es gut und richtig war zu schweigen. Manchmal müssen die Medien schweigen. Verantwortungsbewusstes Schweigen als Konsequenz einer wohl abgewogenen ethischen Entscheidung hat nichts mit Lügen zu tun!

Wer war das? Wer waren die Gewalttäter auf dem Kölner Domvorplatz, in Hamburg, in Stuttgart und anderswo. Die Männer, die in der Silvesternacht 2015/16 Frauen sexuell bedrängt und belästigt haben, die Handys und Geldbörsen geklaut haben. Wer war das? Organisierte Banden? Zufällig zusammengewürfelte Gruppen, die sich in den sozialen Netzwerken verabredet haben? Nordafrikanische Männer, die hier schon lange leben? Asylbewerber, Flüchtlinge? Wer war das? Was ist die Wahrheit? Wir kennen sie nicht, immer noch nicht! Und das ist in diesem Fall kaum auszuhalten. Das Ereignis hat uns tief getroffen, wir diskutieren täglich über politische, strafrechtliche, gesellschaftliche Konsequenzen. Wir sind uns einig: Wir dürfen in unserem Staat nicht zulassen, dass Menschen anderen Menschen gegenüber Gewalt anwenden. Hier stehen wir ganz und gar auf der Grundlage dessen, was Jesus Christus uns gebietet. Keine Gewalt gegen Frauen, keine gegen Männer, gegen Minderheiten, gegen Andersdenkende, gegen Ausländer oder Inländer. Keine Gewalt! Das muss gelten in unserem Land, wir müssen das durchsetzen. Aber kennen wir die Wahrheit? Was genau ist geschehen auf dem Kölner Domplatz? Das wissen wir nicht, immer noch nicht. Was wir aber wissen: Der Grundsatz "in dubio pro reo" gilt in unserem Rechtsstaat uneingeschränkt.  

Hat das Evangelium Nachrichtenwert? Diese Frage hat Herr Parzani in seinem Vortrag eben gestellt. Soviel können wir jedenfalls feststellen: Die Fragen nach Gott und dem Glauben waren dem reichweitenstärksten Nachrichtenmagazin in Deutschland zur Weihnachtszeit einen Aufmacher wert. "Der Spiegel" hat die Diskussion um die Existenz von Gott auf das Cover gebracht und mit dem Astrophysiker Ben Moore und dem designierten Kulturbeauftragten der EKD, Pastor Johann Hinrich Claussen, ein Streitgespräch geführt. "Glauben Sie an Gott?" fragt der Atheist Moore den Christen Claussen in dem Gespräch. "Ich glaube an ihn, und ich habe Zweifel", antwortet Claussen. Und er sagt: "Mein Glaube an Gott ist ein wesentlicher Teil meiner Beziehung zu dieser Welt. Und durch die Entscheidung des Spiegel, das Streitgespräch um Glauben und Gott als Titelthema zu platzieren, wird für diese Ausgabe die Frage von Herrn Parzany, ob das Evangelium Nachrichtenwert habe, eindeutig mit Ja beantwortet.

Was ist die Wahrheit? Die Wahrheit ist bei Gott, die Wahrheit ist auch die Botschaft von Jesus Christus in seiner Bergpredigt: "Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen." Halten wir uns daran. Und freuen wir uns, dass es zumindest ein paar Gewissheiten gibt, derer wir uns sicher sein können – auch wenn sie nebensächlich sind. Am 16. April 1988 zum Beispiel: Da hat Hannover 96 gegen Bayern München mit 2:1 gewonnen!