Genf (epd)Das erste Treffen des potenziell mächtigsten Gremiums der Welt fand auf kirchlichem Terrain statt: Am 17. Januar 1946 versammelten sich die Mitglieder des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen im "Church House" in London. Seit der ersten Sitzung in der Zentrale der Kirche von England vor genau 70 Jahren hat sich die Machtfülle des UN-Sicherheitsrates nicht geändert: Der Rat kann Strafen gegen Staaten autorisieren, bis hin zur Gewaltanwendung. So genehmigt er die Missionen der UN-Friedenstruppen, den sogenannten Blauhelmen. Aber auch innerhalb der UN hat er oft das entscheidende Wort: Etwa wenn es um neue Mitgliedsländer geht.
Veto führt zu Passivität
"Die Machtverteilung im Rat spiegelt aber noch immer die Weltordnung von 1945 wider", kritisiert der frühere UN-Generalsekretär Kofi Annan. Vor allem das Vetorecht der fünf ständigen Ratsmitglieder USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien stößt auf Widerstand. Denn alle anderen Staaten müssen sich turnusmäßig die zehn nichtständigen Sitze mit geringer Macht teilen.
Und das Veto führt in vielen Konfliktfällen zu Passivität. So spielten der Vietnam-Krieg der USA in den 60er und 70er Jahren und die Afghanistan-Invasion der Sowjetunion 1979 keine Rolle am Hufeisentisch. Angesichts eines möglichen Vetos durch Russland und Frankreich verzichteten die USA auf ein Mandat des Rates vor dem Einmarsch im Irak 2003. Und wiederum aufgrund des Gegensatzes zwischen den USA und Russland ließ das Gremium den aktuellen Konflikt in Syrien mit bislang mehr als 250.000 Toten jahrelang einfach laufen.
Allerdings warnen Experten wie der Frankfurter Politikwissenschaftler Harald Müller vor einer pauschalen Verurteilung des Vetos. Das Veto solle verhindern, "dass eine Mehrheit des Sicherheitsrats gegen die vitalen Interessen einer Großmacht den Gewalteinsatz beschließt". Im Dilemma zwischen Konfliktrisiko und Untätigkeit hätten sich die Gründer der UN für die zweite Alternative als geringeres Übel entschieden, resümiert Müller. Der Sicherheitsrat habe dazu beigetragen, "dass nunmehr zwei Generationen ohne Großmachtkrieg leben durften".
Bislang konnten die mächtigen Fünf ihre komfortable Position behaupten: Vor allem die USA, Russland und China sperren sich gegen jede Beschneidung ihrer Rechte. Trotzdem präsentieren eine ganze Reihe von Staaten konkrete Reformvorschläge, über die in den UN debattiert werden. Als eine der wichtigsten Initiativen gilt das Konzept der "G4", ein Verbund aus Indien, Japan, Brasilien und Deutschland.
Neue Arbeitsmethoden gefordert
Laut G4 soll der Sicherheitsrat um sechs neue permanente Mitglieder aufgestockt werden: Die G4-Staaten selbst und zwei Länder aus Afrika. Zudem sollen vier bis fünf neue nichtständige Mitglieder hinzustoßen. Die Gesamtstärke des Rates würde sich also von heute 15 auf 25 bis 26 erhöhen. Die neuen permanenten Angehörigen sollten zwar prinzipiell dieselben Rechte wie die alteingesessenen Vetomächte haben - also auch das Vetorecht. Nur: Die sechs Neuen würden auf das Privileg zunächst freiwillig verzichten.
Deutschland begründet seinen Anspruch auch damit, dass es ein zahlungskräftiger und "verlässlicher Partner in den Vereinten Nationen" ist. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) pochte bei ihrem Besuch bei den UN in New York im September 2015 auf einen Umbau des Rates. "Um die Probleme, vor denen wir stehen, zu lösen, brauchen wir neue Arbeitsmethoden", betonte Merkel.
Neben dem G4-Vorstoß bringt ein Plan Frankreichs und Mexikos Bewegung in die Debatte: Im Kern fordern die beiden Staaten, dass die fünf ständigen Mitglieder ihr Veto-Recht ruhen lassen sollen, wenn der Rat über Fälle von Massenverbrechen entscheidet. Konkret geht es um Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Die Franzosen wären also bereit, immerhin ein Stück ihrer Macht als ständiges Ratsmitglied aufzugeben.
Auch Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch heißen den Vorschlag gut. "Es ist einfach nicht akzeptabel, dass einige Länder ihr Veto benutzen um ihre Verbündeten zu schützen, die Massenverbrechen verüben", sagt Direktor Kenneth Roth.