Die Handlung beginnt mit dem Suizid des vermeintlichen Mädchenmörders Tim Haffling (Sebastian Griegel); die Leiche des Opfers ist niemals gefunden worden, der junge Mann ist aufgrund von Indizien und Zeugenaussagen verurteilt worden. Der Selbstmord veranlasst einen anderen, sich endlich seiner Schuld zu stellen: Der ehemalige Architekt Jens Baumann (Karl Markovics) gesteht von Meuffels, er habe 2006, während Deutschland im Sommermärchen der damaligen Fußball-WM schwelgte, die 16jährige Miriam umgebracht. Weil er jedoch angibt, eine innere Stimme habe ihn aufgefordert, sich zu stellen, hält der Kommissar ihn für einen typischen Selbstbezichtiger und empfiehlt ihm, einen Psychiater aufzusuchen. Baumann lässt jedoch nicht locker und schafft es schließlich, dass von Meuffels ihn zum Tatort begleitet. Als er ihm zeigen will, wo er die Leiche vergraben hat, erlebt er eine böse Überraschung: Dort befindet sich heute der betonierte Parkplatz eines Baumarkts. Trotzdem ist die Gewissheit des Kommissars erschüttert: Nach und nach wächst in von Meuffels der Verdacht, im Sommer 2006 einen furchtbaren Fehler begangen zu haben.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Der Reiz des Drehbuchs vom Autorenduo Alexander Buresch und Matthias Pacht, das zuletzt einen sehenswerten Münchener "Tatort" geschrieben hat ("Der Wüstensohn"), liegt in der Rekonstruktion des Tathergangs, wie ihn Baumann schildert. In den entsprechenden Rückblenden beweist Lola Dockhorn erneut ihr großes Talent; die junge Schauspielerin war schon 2012 in der Tragikomödie "Einer wie Bruno" an der Seite von Christian Ulmen als Tochter eines behinderten Vaters famos und hat diese Leistung im letzten Jahr in "Nebenwege" bestätigt. Da die Rückblenden einen immer größeren Raum einnehmen, entsteht nach und nach ein differenziertes Bild: Miriam hat mit dem durch die Reize des Mädchens überforderten Baumann ihr Spiel getrieben.
Dennoch bleiben gewisse Zweifel, weil der Architekt nicht alle Fragen schlüssig beantworten kann. Und dann sind da ja noch die Aussagen der verschiedenen Zeugen, die sich von Meuffels nochmals auf Video anschaut; ein neunjähriger Junge zum Beispiel hat gesehen, wie Miriam zu Haffling ins Auto gestiegen ist. Der Kommissar sucht die Beteiligten von damals ein weiteres Mal auf. Auch deren Aussagen werden in Form von Rückblenden gezeigt. Filmisch ist das vor allem deshalb interessant, weil man die Ereignisse aus Baumanns Schilderungen nun zum Teil aus anderer Perspektive sieht. Schließlich kommt von Meuffels zu der Gewissheit, dass der Architekt die Wahrheit sagt, und lässt den Parkplatz wegbaggern; aber eine Leiche wird dort nicht gefunden.
Inszeniert hat den "Polizeiruf" Marco Kreuzpaintner ("Krabat"), der zuletzt die heitere Schwulenkomödie "Coming In" mit Kostja Ullmann gedreht hat. "Und vergib uns unsere Schuld" konzentriert sich ganz auf die beiden Hauptdarsteller und die Dekonstruktion des Kommissars, dessen gewohnte Selbstsicherheit mehr und mehr erschüttert wird; Matthias Brandt spielt den körperlich und seelisch zunehmend derangierten Ermittler gewohnt famos, Karl Markovics ist ihm ein ebenbürtiger Partner. Wichtig für die immer faszinierendere Geschichte sind auch die überwiegend unbekannt besetzten, aber gleichfalls überzeugend verkörperten Nebenfiguren, die sehr zur Komplexität des Drehbuchs beitragen; so ist zum Beispiel Miriams Mutter überzeugt, dass ihre Tochter noch lebt. Kurze markante Auftritte haben auch die örtlichen Polizisten, die dem Kollegen aus München mit jovial getarnter Feindseligkeit begegnen. Ein unspektakulärer, aber äußerst intensiver Krimi, in dem nicht zuletzt diverse dramaturgisch eingesetzte Wolkenbrüche für eine ganz spezielle Stimmung sorgen.