Der Unmut wächst

epd-bild / Stefan Arend
Auf einer Baustelle in Düsseldorf enstehen öffentlich geförderte Wohnungen.
Der Unmut wächst
Jahrzehntelange Fehlentwicklungen auf dem Wohnungsmarkt schüren Konkurrenz um preiswerte Wohnungen
Der Markt für günstige Wohnungen in Deutschland ist extrem angespannt. Darunter leiden vor allem die, die ohnehin oft ausgegrenzt sind.

Bremen, Hannover (epd)Mag sein, dass die Kälte draußen die Stimmung im Plenum zusätzlich anheizt. Jedenfalls haben viele Engagierte des Bremer Aktionsbündnisses "Menschenrecht auf Wohnen" an diesem Abend im Januar mächtig Wut im Bauch. "Ach was, Regierung. Wir müssen selbst was machen", ärgert sich Pete Ording, der auf eigene Faust Hilfen für Obdachlose organisiert. "Wo bleiben denn die versprochenen Wohnungen?", setzt er nach und schimpft wieder: "Wer Not hat, dem muss doch geholfen werden."

Und die Not ist groß. "In Bremen fehlen trotz der Anstrengungen des Senats und eines extra aufgelegten Bauprogramms tausendfach bezahlbare Wohnungen", bilanziert Joachim Barloschky, Sprecher des Aktionsbündnisses. Die Folge: Seit Jahren konkurrieren Studenten, Hartz-IV-Bezieher, Menschen mit kleiner Rente, Alleinerziehende und nicht zuletzt Obdachlose um ein bezahlbares Dach über dem Kopf. Und seit Monaten kommen mehr Flüchtlinge hinzu.

Lange Schlangen bei Besichtigungen

Die Schlangen bei Wohnungsbesichtigungen sind lang, der Markt zum Zerreißen gespannt. Der Unmut darüber wächst - nicht nur in Bremen. Wie in der Hansestadt haben sich vielerorts Initiativen gegründet, um gegen Wohnungsnot und explodierende Mieten anzugehen: "Kotti & Co" am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg, das Münchner "Bündnis für bezahlbares Wohnen" und das "Mieterforum Ruhr" sind weitere Beispiele einer wachsenden Bewegung.

"Bund und Länder haben den sozialen Wohnungsbau in den 1980er Jahren weitgehend aufgegeben, städtische Wohnungsbaugesellschaften wurden verkauft", kritisiert Ökonom Matthias Günther vom Pestel-Institut für Systemforschung in Hannover. Zwar seien in den zurückliegenden zehn Jahren jährlich zwischen 10.000 und 12.000 Wohnungen entstanden. Gleichzeitig seien aber jährlich etwa 60.000 bis 80.000 Wohnungen aus der Sozialbindung gefallen.

So reduziert sich trotz neuer Bauprogramme immer noch die Zahl der verfügbaren Sozialwohnungen. Um wenigstens den aktuellen Bestand zu halten - laut Günther sind das 1,6 Millionen - müssten nach seinen Berechnungen jährlich mindestens 130.000 neue Wohneinheiten errichtet werden.

Kleinwohnungen fehlen

Die Not wird von oben nach unten durchgereicht. Wer sich seine teure Wohnung nicht mehr leisten könne, suche sich eine preiswertere, sagt Bertold Reetz von der diakonischen Wohnungslosenhilfe in Bremen. "Das ist wie eine Kaskade. Unten fallen dann die Schwächsten raus."

Und die Schwächsten, das sind die Wohnungslosen und diejenigen, die von Wohnungslosigkeit bedroht sind. Laut Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) steigt ihre Zahl. 2014 hat der Verband rund 335.000 Wohnungslose gezählt, ein Anstieg um 18 Prozent seit 2012. Die Schätzungen beruhen auf regelmäßigen Umfragen der Bundesarbeitsgemeinschaft in den Kommunen. Bundesweite Statistiken gibt es nicht.

Bis 2018 müsse mit einem weiteren Zuwachs um 200.000 Wohnungslose auf dann rund 536.000 gerechnet werden, lautet die Prognose von BAGW-Geschäftsführer Thomas Specht. Das wäre eine Steigerung um etwa 60 Prozent. Die Gründe sind seiner Analyse zufolge klar: Der weiter schrumpfende Bestand an Sozialwohnungen und zu wenige bezahlbare Ein- bis Dreizimmerwohnungen. Aktuell fehlten in Deutschland mindestens 2,7 Millionen Kleinwohnungen, sagt Specht.

Projekte für Wohnungslose

In den 1990er Jahren waren Politiker fest überzeugt, dass aufgrund einer älter werdenden und schrumpfenden Gesellschaft nicht mehr so viele Wohnungen gebraucht werden. Nun ist das Gegenteil der Fall. "Dabei spielt die wachsende Zuwanderung von EU-Bürgern und Asylbewerbern zwar eine Rolle als Katalysator", sagt Specht. "Die wesentlichen Ursachen liegen jedoch in der seit Jahrzehnten verfehlten Wohnungspolitik in Deutschland, in Verbindung mit einer unzureichenden Armutsbekämpfung."

Experten wie der Bremer Sozialwissenschaftler Volker Busch-Geertsema schlagen deshalb spezielle Projekte für Wohnungslose vor. Denn für diese Gruppe "regelt der Markt gar nichts", sagt Busch-Geertsema. Als positives Beispiel nennt er die Y-Stiftung in Finnland, die fast 7.000 Eigentumswohnungen gekauft hat, um Wohnungslose und Flüchtlinge versorgen zu können.

Bertold Reetz von der diakonischen Wohnungslosenhilfe rät, noch früher anzusetzen und schon bei einem drohenden Wohnungsverlust tätig zu werden, etwa bei Mietrückständen. Denn: "Die Rückstände zu übernehmen, ist immer billiger, als jemanden in die Wohnungslosigkeit zu schicken."

"Rundum-sorglos-Paket" für Bedürftige

Busch-Geertsema sieht auch in den belgischen "Social Rental Agencies" ein erfolgreiches Modell zur Bekämpfung von Wohnungslosigkeit. Die Agenturen mieten zumeist von Privaten ganze Objekte an, garantieren die Einnahmen und geben die Wohnungen dann an besonders bedürftige Haushalte weiter. Begleitend schnüren sie ein "Rundum-sorglos-Paket" mit Nebenkostenabrechnungen, Renovierungen, Versicherungen und, wenn nötig, auch mit wohnbegleitenden Hilfen.

Pete Ording geht das alles nicht schnell genug. Im Bremer Aktionsbündnis "Menschenrecht auf Wohnen" wirbt er dafür, leerstehende Gebäude für Obdachlose zu öffnen. Der bundesweite Leerstandsmelder im Internet bilanziert allein in Bremen 763 Einträge, im benachbarten Hamburg sogar 984. In einigen Städten wie Stuttgart oder Freiburg kann bereits ein Bußgeld verhängt werden, wenn Hausbesitzer Wohnungen grundlos leerstehen lassen.

Zur Not sollten die Sozialbehörden benötigte Wohnungen beschlagnahmen, verlangt Ording. "Nur müssen wir endlich weiterkommen im Kampf gegen die Wohnungsnot. Nicht nur klug quatschen."