Hitlers Hetzschrift

epd-bild/Joern Neumann
Historische Ausgabe (Jubiläumsausgabe von 1939) des Buches "Mein Kampf" von Adolf Hitler.
Hitlers Hetzschrift
Am 31. Dezember laufen die Urheberrechte an
«Mein Kampf» aus
Jahrzehntelang wurde der Nachdruck von «Mein Kampf» verhindert, Ende 2015 endet der urheberrechtliche Schutz. Am 8. Januar stellen Historiker nun eine kritische Edition vor: Mit über 3.500 Anmerkungen soll Hitlers Propaganda entmystifiziert werden.
29.12.2015
epd
Barbara Schneider (epd)

München (epd)Es gilt als eines der gefährlichsten Bücher der Welt. Und dass, obwohl sich Hitlers "Mein Kampf" durch einen "prätentiösen Stil" und "gedrechselte, wurmartige Perioden" auszeichnet, wie es der Historiker Joachim Fest einmal beschrieb. 70 Jahre lang verhinderte der bayerische Staat, bei dem bislang die Rechte liegen, eine Neuauflage. Am 31. Dezember 2015 läuft diese urheberrechtliche Schutzfrist aus. Theoretisch ist ein Nachdruck von Hitlers wichtigster programmatischer Schrift dann wieder möglich.

Verbreitung unwahrscheinlich

Dass dann unzählige Neuauflagen den Buchmarkt überschwemmen oder gar die Bestsellerlisten erobern, ist unwahrscheinlich. Bereits im Frühjahr 2014 hatten sich die Justizminister der Länder darauf verständigt, eine unkommentierte Verbreitung auch in Zukunft verhindern zu wollen. Eine Einordnung der Kampfschrift leistet die Ausgabe des Münchener Instituts für Zeitgeschichte, die am 8. Januar vorgestellt wird: "Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition". Es handelt sich um eine historisch-kritische Ausgabe mit einer Vielzahl von Anmerkungen, an der Wissenschaftler seit etlichen Jahren arbeiten.

Rund 2.000 Seiten hat diese Ausgabe. Sie ist damit mehr als doppelt so umfassend wie das Original, das Adolf Hitler nach seinem Putschversuch in Festungshaft in Landsberg 1924 begann. Radikaler Judenhass, die Forderung nach "Lebensraum im Osten", die Errichtung einer Diktatur und der gewalttätige Kampf gegen innere Gegner zögen sich wie ein roter Faden durch das gesamte Buch, sagt der Historiker Roman Töppel. Er ist einer der Herausgeber der historisch-kritischen Edition, die die beiden Bände von "Mein Kampf" mit etwa 3.500 Anmerkungen ergänzt und kommentiert haben.

Die Historiker des Münchner Instituts für Zeitgeschichte haben es sich zum Ziel gesetzt, den Mythos um dieses Buch zu entzaubern. Es geht nach Institutsangaben um Fragen wie: "Wie entstanden seine Thesen?", "Welche Absichten verfolgte er damit?" und vor allem "Was lässt sich mit dem Stand unseres heutigen Wissens Hitlers unzähligen Behauptungen, Lügen und Absichtserklärungen entgegensetzen?"

Es ist ein umstrittenes Unterfangen. Die Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, bezweifelt, dass die kritische Edition Hitlers antisemitisches Machwerk entmystifizieren kann. "Die menschenverachtende und demokratiefeindliche, radikale Rhetorik kann immer noch eine verheerende Wirkungskraft entfalten", sagt die Holocaust-Überlebende.

Stück für Stück widerlegen

Auch der bayerische Staat als Rechtsnachfolger des nationalsozialistischen Franz-Eher-Verlags tut sich schwer mit dem Erbe. 500.000 Euro Förderung flossen anfangs in das Projekt des Instituts für Zeitgeschichte. 2012 machte die Regierung einen Rückzieher. "Ich kann nicht einen NPD-Verbotsantrag stellen in Karlsruhe und anschließend geben wir sogar noch unser Staatswappen her für die Verbreitung von 'Mein Kampf'- das geht schlecht", sagte Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU). Der Sprecher des bayerischen Wissenschaftsministeriums, Ludwig Unger, erklärt den Richtungswechsel heute mit einem Israelbesuch des Kabinetts und den dort geführten Gesprächen mit Holocaust-Überlebenden.

Verhindern ließ sich die Verbreitung von Hitlers Hetzschrift schon in der Vergangenheit freilich nicht. Im Internet sind es nur ein paar Klicks zu dem Originaltext in deutscher Sprache. Auch das ist ein Grund dafür, warum das Institut für Zeitgeschichte davor warnt, das Buch weiter im Giftschrank wegzusperren: Dadurch werde der Mythos weiterhin befeuert, sagt Institutssprecherin Simone Paulmichl. "Aus unserer Sicht ist es die wirkungsvollste Art, Hitlers Propaganda dadurch unschädlich zu machen, dass man sie Stück für Stück widerlegt."

Der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Josef Schuster, teilt in gewisser Weise diese Einschätzung. Er ist zwar gegen eine Verbreitung des Originals, gegen die kommentierte Ausgabe des Instituts für Zeitgeschichte für Forschung und Lehre hat er keine Einwände. Vielmehr sieht er in einer kritisch-historischen Edition die Chance, "die rassistischen und antisemitischen Behauptungen des Machwerks zu entkräften."