Die Handlung ist zwar konsequent auf die zentrale Figur zugeschnitten, doch "Glückskind" ist alles andere als ein Ein-Personen-Stück; selbst wenn Herbert Knaup naturgemäß aus dem Ensemble herausragt. Die Figur ist aber auch großartig: Anfangs ist Hans Scholz ein völlig verwahrloster alter Kerl mit Zottelhaar, Strubbelbart und rosigen Säuferwangen. Als das Leben dieses Waldschrats durch das Baby wieder einen Sinn bekommt, unterzieht er seine liebevoll vermüllte Wohnung einer Grundreinigung, trennt sich von Haar- und Barttracht und sieht prompt zwanzig Jahre jünger aus. Ganz wunderbare Mitspieler sind Mohammed Ali Behboudi und Naomi Krauss als exil-iranisches Ehepaar. Die beiden wohnen auf der gleichen Etage wie Scholz und bekommen natürlich mit, dass der Nachbar plötzlich Opa geworden ist; aber sie unterstützen ihn nach Kräften. Gleiches gilt für einen Kioskbesitzer, der das kleine Mädchen auch gern adoptieren möchte, weil doch jedes Kind zwei Opas brauche. Thomas Thieme versieht diesen Mann mit einer ruppigen Herzlichkeit, die viel mehr aus der Rolle macht, als eigentlich in ihr steckt.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Ohnehin ist "Glückskind" von einer fast schon vorweihnachtlichen frohen Botschaft geprägt. Aus dem verwahrlosten Einzelgänger wird ein kommunikationsfreudiger Zeitgenosse. Selbst potenzielle Antagonisten wie die Polizisten oder die Frau vom Sozialamt meinen es zumindest nicht schlecht mit ihm. Der Titel des Films mag sich vordergründig auf das Kind beziehen, zumal Scholz ihm den Namen Felizia gibt, aber selbstredend ist er der Hans im Glück. Die plötzliche Gutherzigkeit seiner Mitmenschen, die er vorher in Suff und Selbstmitleid gar nicht wahrgenommen hat, verleiht dem Film eine sympathische Märchenhaftigkeit; selbst der von den Nachbarn empfohlene Kinderarzt drängt Scholz nicht, das Baby den Behörden zu übergeben.
Nach und nach verknüpft Verhoeven, dessen Drehbuch auf dem gleichnamigen Roman von Steven Uhly beruht, die Handlung mit der Vorgeschichte seines verkrachten Helden, der einst seine Familie im Stich gelassen und seither jeden Kontakt zu seiner Tochter verloren hat. Als er am Ende einsieht, dass es nur eine Möglichkeit gibt, Felizias Mutter vor dem Gefängnis zu bewahren, hat er das Ziel seiner ganz speziellen Heldenreise erreicht und endgültig die Voraussetzung für einen Neuanfang geschaffen.