Auf den ersten Blick erinnert der Inhalt dieses Films an Krimigeschichten à la "Mord ist ihr Hobby". "Die Geschworene" hebt sich jedoch schon rein optisch deutlich von den üblichen Zeitvertreibsgeschichten ab. Regie führte zudem Nikolaus Leytner, mit dem Christiane Hörbiger schon einige sehenswerte Filme gedreht hat, darunter auch "Der Besuch der alten Dame". Vor allem die Dramaturgie sorgt dafür, dass man sich in dieser Geschichte nicht behaglich einrichten kann: Drehbauchautorin Susanne Freund (sie adaptierte den gleichnamigen Roman von Katharina Zara) verzichtet auf jede Einführung und lässt das Publikum lange im Unklaren. Man erfährt nur, dass die brave und etwas verhuschte Wiener Hausfrau Johanna Winter Geschworene in einem Mordprozess war. Das Urteil wird verkündet, die Sache ist erledigt. Aber jetzt kommen Johanna Zweifel: Eine Freundin hat alle Berichte über den Prozess gesammelt. Dort erfährt sie Details, die während der Verhandlungen nie zur Sprache kamen. Sie erkennt, dass die Geschworenen an der Nase herumgeführt wurden. Offenbar haben Polizei und Richter gemeinsame Sache gemacht, um einen vermeintlichen Prostituiertenmörder zu verurteilen.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
All dies erzählt der Film jedoch nicht linear. Gemeinsam mit Johanna, die anfangs völlig ahnungslos ist, setzt man aus den Puzzleteilen ihrer Erinnerungen an den Prozess sowie den Details der Recherche, die sie gemeinsam mit dem Geschworenen-Obmann (Erwin Steinhauer) durchführt, nach und nach das Bild eines ungeheuerlichen Justizskandals zusammen. Zunächst irritiert diese bruchstückhafte und rückblendenreiche Erzählweise noch, zumal man zu Beginn komplett im Dunkeln tappt und nicht annähernd ahnt, worum es überhaupt geht. Mit zunehmender Dauer aber teilt man nicht nur Johannas Empörung über die Willkür der Behörden, sondern bewundert auch die ebenso wirkungs- wie anspruchsvolle Verschachtelung der Handlung, die Leytner überaus zurückhaltend inszeniert.
Von wenigen typischen Hörbiger-Blicken abgesehen gilt dies auch für die Hauptdarstellerin: Jenseits aller Mondänität schlüpft die große Schauspielerin nahtlos in die Rolle der vom Gatten (Michael König) stets etwas gönnerhaft gegängelten Ehefrau und Mutter, deren Ermittlungseifer von allen belächelt wird. Auch der Richter (Peter Matic) lässt sie abblitzen. Dass Johanna am Ende ihrer emanzipativen Entwicklung zu einem höchst ungewöhnlichen Mittel greift, um der Gerechtigkeit doch noch zum Sieg zu verhelfen, lässt den Film fast ins Märchenhafte abrutschen. Während man diese Wendung jedoch akzeptiert, ist der Schluss in anderer Hinsicht höchst unbefriedigend: Warum die Justiz den Angeklagten zum Bauernopfer erkoren und wer die Prostituierte tatsächlich umgebracht hat, bleibt völlig offen.