"Nie wieder frei sein" war der wohl bedrückendste "Tatort" des Jahres 2010; der Film über einen Vergewaltiger, der dank der Raffinesse seiner jungen Verteidigerin freikommt, ist damals unter anderem mit dem Grimme-Preis und dem deutschen Fernsehkrimi-Preis ausgezeichnet worden. Autorin des Films war Dinah Marthe Golch. Mit "Macht und Ohnmacht", ebenfalls für das "Tatort"-Duo aus München, hat sie 2013 nachgelegt, und nun folgt "Einmal wirklich sterben". Die Geschichte stammt von Claus Cornelius Fischer, Golch war diesmal nur Koautorin, doch schon der Titel signalisiert, dass auch dieser Film aus der Reihe fällt. Fischer hat für den Krimi das Phänomen des erweiterten Suizids aufgegriffen. Die Vorgeschichte wird allerdings erst später nachgereicht. Leitmayr und Batic (Udo Wachtveitl, Mirsolav Nemec) statten gerade der Mutter eines im Dienst verstorbenen Kollegen einen Anstandsbesuch ab, als sie von einem Verbrechen gleich um die Ecke erfahren: Eine Frau ist erschossen worden, ihr Lebensgefährte ist schwer verletzt; der kleine Sohn der Frau taucht kurz drauf in einem Krankenhaus auf. Später stellt sich raus, dass der Mann bereits zum zweiten Mal eine beinahe tödliche Schusswunde überlebt hat: Vor 15 Jahren hat er im Rahmen eines erweiterten Suizids seinen Jungen und seine Frau erschossen, aber sein Selbstmord misslang. Weil er es damals nicht übers Herz brachte, seine Tochter Ella zu töten, gab es noch eine Überlebende; und die hat sich scheinbar in Luft aufgelöst.
Grimme-Preisträger Markus Imboden ("Mörder auf Amrum") erzählt die Geschichte geradezu aufreizend spannungsarm. Natürlich kommt es zur einen oder anderen Konfrontation, aber wer die Qualität eines Krimis daran misst, dass man mitfiebert oder miträtselt, wird eine Enttäuschung erleben. Buch und Regie zeigen zwar die übliche Fernsehpolizeiarbeit, doch da der Film irgendwann die Erzählperspektive wechselt, bleiben schon während der Handlung nicht viele Fragen offen: Die Ella von einst nennt sich mittlerweile Emma (Anna Drexler). Die junge Frau leidet noch heute unter dem erlittenen Trauma und hält ihr Dasein nur mit Hilfe von Psychopharmaka aus. Als sie den Jungen aus dem Krankenhaus entführt, beginnt für die Kommissare ein Wettlauf um das Leben der beiden Geschwister im Geiste, den sie fast nicht gewinnen können.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Weil ein Krimi immer auch Alternativen bieten muss, gibt es noch den Ex-Mann (Simon Schwarz) der erschossenen Frau, dessen Alibi sich prompt als falsch entpuppt, aber die Inszenierung wirkt, als würde der Film selbst nicht an das Ablenkungsmanöver glauben. Viel größeres Gewicht legt Imboden auf die Rückblenden, die das damalige Ereignis zeigen; mal aus der Sicht des Vaters, mal aus jener der Tochter, die ohnehin immer stärker ins Zentrum der Handlung rückt. Da sie keine Tabletten mehr hat, wird sie zur wandelnden Zeitbombe. Aber Imboden bleibt seiner Linie und damit der ruhigen Erzählweise treu. Allein die Sorge um das Leben des Jungen bewahrt "Einmal wirklich sterben" davor, völlig aus dem Rahmen des Sendeplatzes zu fallen. Das gilt angesichts des Dramas umso mehr für eine amüsante komödiantische Einlage Wachtveitls, als er einen Mitarbeiter der Stadtwerke markiert, um eine Adresse rauszubekommen, und einen Auftritt von Klaus Pohl als etwas wunderlicher Kommissarskollege aus Augsburg, der damals den erweiterten Suizid bearbeitet hat.