Köln, Berlin (epd)Die katholische Kirche soll einem Fernsehbericht zufolge verhindert haben, dass Straftaten des Haupttäters im 2010 bekannt gewordenen Missbrauchsskandal am Berliner Canisius-Kolleg verfolgt werden. Die Staatsanwaltschaft Berlin prüfe nun die Aufnahme neuer Ermittlungen, sagte Oberstaatsanwalt Martin Steltner in einer WDR-Dokumentation, die am Montagabend im ARD-Fernsehen ausgestrahlt werden sollte. Die Opfergruppe "Eckiger Tisch" warf dem Hildesheimer katholischen Bischof Norbert Trelle Strafvereitelung in einem Missbrauchsfall vor und forderte seinen Rücktritt.
Trelle und seine Mitarbeiter hätten 2010 in einem mutmaßlichen Fall von sexuellem Missbrauch an einer Elfjährigen durch den pensionierten Pfarrer Peter R. "eigenständig im Geheimen ermittelt" und weder die Familie noch die Polizei oder eine unabhängige Beratungsstelle informiert, sagte der Sprecher der Opferinitiative, Matthias Katsch, in Berlin. "Sie führten die Justiz in die Irre, schützten den Täter und ließen das Opfer allein." Dies sei zu einer Zeit erfolgt, als der damalige Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, umfassende Aufklärung und bessere Zusammenarbeit mit den staatlichen Behörden versprochen habe.
Opferinitiative fordert Rücktritt von Bischof Trelle
Katsch forderte Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen die Verantwortlichen des Bistums wegen "Strafvereitlung durch Unterlassen". Durch ihr Verhalten sei die Strafverfolgung eines Serien-Missbrauchstäters behindert und letztlich verhindert worden. "Bischof Trelle muss die Verantwortung für dieses Vorgehen übernehmen und zurücktreten", verlangte Katsch.
Der ehemalige Jesuit Peter R. soll sich in den 70er und 80er Jahren am Berliner Canisius-Kolleg an mindestens hundert Kindern und Jugendlichen vergangen habe. Im Jahr 2006 soll er laut der WDR-Dokumentation in Hildesheim eine damals Elfjährige körperlich bedrängt haben, die sich als 14-Jährige im Bistum gemeldet habe. Bischof Trelle habe eine interne, kirchenrechtliche Voruntersuchung zu diesem Fall eingeleitet. Die Staatsanwaltschaft sei erst zehn Monate später auf Drängen der Erziehungsberechtigten über den noch nicht verjährten Fall informiert worden.
Dass es sich bei Peter R. um einen mutmaßlichen Serientäter handelte, sei aber verschwiegen worden. "Wir mussten davon ausgehen, dass es sich hier um einen Einzelfall handelt, und haben die Sache auch entsprechend behandelt", sagte Oberstaatsanwalt Steltner dem WDR. Die Behörde stellte die Ermittlungen daher 2011 wegen geringen öffentlichen Interesses gegen Zahlung einer Geldauflage ein. Angesichts der neuen Erkenntnisse werde nun geprüft, ob sich neue Ermittlungsansätze ergäben, kündigte Steltner an. Das sei die Behörde möglichen weiteren Opfern schuldig.
Parallele Strafrechtssysteme kritisiert
Der mutmaßliche Täter wurde der TV-Dokumentation zufolge 2012 von einem Berliner Kirchengericht zu dem Fall befragt und "wegen sexueller Handlungen an einer Minderjährigen" zu 4.000 Euro Geldstrafe verurteilt. Von diesem kircheninternen Prozess habe das Opfer aus Hildesheim nie erfahren, auch eine finanzielle Entschädigung habe die inzwischen 20-Jährige nicht erhalten.
Die Autorin der ARD/WDR-Dokumentation "Richter Gottes", Eva Müller, kritisierte das Nebeneinander von staatlichen und kirchlichen Gerichten. "Wenn sich zwei parallele Strafrechtssysteme mit dem gleichen Gegenstand befassen, muss das zu massiven Problemen führen", sagte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die evangelische Kirche habe das Thema inzwischen angepackt. Nach einem Fall 2013 könnten die Disziplinarverfahren dort unter bestimmten Bedingungen öffentlich sein. "Da ist zumindest der Gedanke da, dass das Hauptproblem in einem Kirchengerichtsprozess die fehlende Öffentlichkeit ist", sagte Müller.
Das Bistum Hildesheim hatte erst vor drei Wochen den Verdacht gegen den früheren Bischof Heinrich Maria Janssen (1907-1988) öffentlich gemacht, der sich von 1958 bis 1963 an einem Messdiener vergangen haben soll. Dazu hatte der amtierende Bischof Trelle erklärt, das Bistum wolle "bei der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch mit Transparenz und Klarheit" vorgehen. Er halte "diesen Weg für den einzig richtigen und verantwortbaren".