Das Thema dieses Film ist seit Jahren brisant und aktuell. Trotzdem ist seine Tragweite noch gar nicht richtig in den Köpfen angekommen: Wie sehr darf ein Staat die Rechte seiner Bürger einschränken, um die Freiheit zu verteidigen? Und was ist eine Freiheit überhaupt wert, die nur noch auf dem Papier existiert, weil man der Willkür der Staatsschützer hilflos ausgeliefert ist?
Henriette Buëgger hat das Szenario für ihr erstes verfilmtes Drehbuch bereits 2008 entworfen und damit eine beeindruckende Weitsicht bewiesen. Sie beschreibt einen Staat, dessen Sicherheitsbeamten nicht nur skrupellos das Recht beugen, sondern sogar Folter für ein legitimes Mittel halten. Das mag wie Science Fiction klingen, denkt aber nur konsequent eine Entwicklung zuende, die längst eingesetzt hat: Erst wird die geistige Freiheit eingeschränkt, indem Telefongespräche mitgehört und der E-Mail-Verkehr überwacht werden, dann folgt die körperliche Unversehrtheit; die neue Logik der Sicherheitspolitik will Taten verhindern, bevor sie begangen werden. Geschickt kommt die Autorin dem Einwand zuvor, die Menschenwürde eines Täters sei im Zweifelsfall eben doch antastbar sei, wenn dies der Preis dafür sei, dass viele Leben gerettet werden könnten: weil in ihrer Geschichte eine Unschuldige auf der Strecke zu bleiben droht.
Hauptfigur der Handlung ist jedoch nicht die junge Frau, die von einem übereifrigen BKA-Beamten (Fabian Hinrichs) für eine islamistische Terroristin gehalten wird, sondern deren Mutter. Elke Seeberg (Christiane Paul) ist Richterin am Berliner Kammergericht, aber das bewahrt sie nicht davor, dass eines Morgens eine Polizeieinheit ihre Wohnung stürmt und sie fesselt und knebelt: Kurz zuvor ist mitten in der Stadt in einem Bus eine Bombe explodiert, es gab sieben Tote und Dutzende Verletzte; ihre Tochter Marie, behauptet der Einsatzleiter (Heino Ferch), sei an dem Anschlag beteiligt gewesen. Die Richterin, die nicht mal weiß, ob ihre Tochter noch lebt, wird verhaftet, ihre Wohnung wird verwanzt und mit versteckten Kameras bestückt. Gleichzeitig schreibt das BKA Marie öffentlich zur Fahndung aus und sorgt dafür, dass die Richterin medial diskreditiert und folgerichtig suspendiert wird.
In der Umsetzung durch Krimiregisseur Elmar Fischer, der mit "Unterm Radar" wohl seinen bislang besten Film gedreht hat, wird aus dem kafkaesken Ansatz ein Thriller, in dem eine Mutter um ihre Tochter kämpft. Diese Seite der Geschichte ist gewissermaßen das emotionale Gegenstück zum diabolischen Teil der Handlung, der phasenweise an die "Dr. Mabuse"-Klassiker von Fritz Lang erinnert. Von Größenwahn kann allerdings keine Rede sein: Richard König (Hinrichs), der Drahtzieher der Aktion, handelt auf Weisung des Innenministeriums und hat die ausdrückliche Erlaubnis, alle Mittel auszuschöpfen; auch die illegalen (daher der Titel). König ist ein kühler Technokrat, der sämtliche sich bietenden Möglichkeiten des Überwachungsstaats nutzt. Fischer verdeutlicht dies gleich zu Beginn mit einer Einstellung, die gleichzeitig die Grenzen dieses totalitären Ansatzes aufzeigt: Erst zeigt die Monitorwand in der Einsatzzentrale nur wenige Bilder, dann werden es immer mehr; schließlich sind es Hunderte. In der Vernehmung der Richterin, eine angemessen quälend lange Szene, kann König dank der tausend Augen des Staates aus dem Vollen schöpfen und mit Hilfe von Überwachungsbildern, Kontobewegengen und Arzneibelegen scheinbar lückenlos beweisen, dass aus der harmlosen Studentin Marie eine Islamistin geworden ist, ohne dass ihre Mutter etwas gemerkt hat.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Weil die Richterin im Wesentlichen auf die erwartbare Mutterfigur reduziert wird, die trotz gewisser Zweifel um ihre Tochter kämpft, hat Heino Ferch den reizvolleren Part, zumal seine Figur eine Wandlung durchläuft. Der leicht melancholische Heinrich Busch ist nach einer mehrmonatigen Entziehungskur ohnehin angeschlagen. Er repräsentiert bestimmte Werte und damit die alte Zeit, was ihn automatisch zu Königs Gegenspieler macht. Nicht minder interessant und ähnlich wichtig für die Handlung sind die Nebenfiguren, allen voran Carolina Vera und Inka Friedrich als Mitstreiterinnen der Richterin; die eine als Anwältin für Menschenrechte, die andere als Leiterin einer gemeinnützigen Organisation und beste Freundin. Maßgeblichen Anteil hat auch Matthias Matschke als Enthüllungsjournalist, den Elke Seeberg zu Beginn verurteilen muss, weil er aus geheimen Akten zitiert hat. Als sie rausfindet, dass das BKA Marie längst verschleppt hat, macht sie sich seine Kontakte zunutze, um das nackte Leben ihrer Tochter zu retten. Eine entscheidende Rolle spielt auch Hans-Werner Meyer als Präsident des Kammergerichts, der Seeberg zu Beginn noch als potenzielle Nachfolgerin betrachtet.
Dank Fischers Inszenierung, der gerade in den Szenen mit Marie an sein Regiedebüt "Fremder Freund" anknüpft, und Stan Mendes Bildgestaltung wirkt "Unterm Radar" für einen Fernsehproduktion enorm aufwändig. Zu einem großen Werk wird der Hochspannungs-Thriller aber vor allem durch die auch emotional fesselnde Umsetzung der Geschichte und natürlich die erschreckende Botschaft; der Film ist eine bittere Parabel über die Willkür des Überwachungsstaates.