Das gab es schon öfter: Ein Kommissar ist als Kunde in der Bank und gerät auf diese Weise mitten hinein in einen Überfall. In diesem Fall ist es die Wiesbadener Polizistin Winnie Heller (Lisa Wagner), die das Verbrechen im Auge des Sturms erlebt. Die Räuber müssen zwar unverrichteter Dinge abziehen, nehmen jedoch drei Angestellte und drei Kunden als Geiseln mit. Einem der Ganoven geht es jedoch nur in zweiter Linie ums Geld; in erster Linie will er sich für ein dreißig Jahre zurückliegendes Verbrechen rächen.
Die Grundidee hat Matthias Klaschka, der bislang alle Drehbücher zur Samstagskrimireihe "Kommissarin Heller" geschrieben hat, natürlich aus Silvia Roths Romanvorlage. Aber die Adaption ist ebenso vorzüglich gelungen wie die Umsetzung: Die Krimi-erfahrene Christiane Balthasar, auch sie ebenso wie Kameramann Hannes Hubach bislang an allen Filmen mit Winnie Heller beteiligt, hat die Geschichte als einen von der ersten bis zur letzten Sekunde fesselnden Thriller inszeniert. Schon die einführende Kamerafahrt, die mit düsteren Bildern den späteren Schauplatz des Verbrechens vorstellt, sorgt für einen Sog, der die passenden Emotionen vorgibt. Die Bildgestaltung ist ohnehin vortrefflich, von großer Sorgfalt und der düsteren Handlung angemessen: Die Geschichte beginnt mit einem Heckenschützen, der offenbar wahllos auf Passanten schießt. Später stellt sich raus, dass die Schüsse bloß vom Banküberfall ablenken sollten. Der Anführer (Ludwig Blochberger) des Trios hat es auf den Filialleiter abgesehen, doch der ist an diesem Tag gar nicht da. Also nehmen die Räuber die Geiseln mit, nicht ahnend, dass einer aus der Gruppe der Mann ist, den der Räuber sucht. Auch Heller sorgt tunlichst dafür, inkognito zu bleiben, aber das klappt nicht lange.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Bei einigen Figuren haben Klaschka und Balthasar etwas dick aufgetragen. Einer der Entführer führt sich wie ein Psychopath aus einem zweitklassigen Hollywoodfilm auf, wirkt dadurch aber nicht doppelt bedrohlich, sondern bloß überzeichnet; und angesichts der Tatsache, dass die Geiseln keinen Mucks von sich geben sollen, ist res regelrecht tollkühn, wie Henrike von Kuick eine der Frauen als Nervensäge verkörpert. Nicht sonderlich glaubwürdig ist auch der sozial unverträgliche Verhandlungsführer vom BKA, der während des Einsatzes online Poker spielt und eine gewöhnungsbedürftige Art der Gesprächsführung pflegt. Fast ein Handlungsfremdkörper sind zudem die privaten Probleme von Hellers Kollege Verhoeven (Hans-Jochen Wagner), der seit dem Tod seines tyrannischen Pflegevaters von Alpträumen gepiesackt wird.
Es spricht für die Qualität des Films, das all dies zweitrangig bleibt, weil die Szenen mit den Entführern und ihren Opfern ungemein spannend sind. Natürlich lebt "Schattenriss" auch von der Frage, wer der mysteriöse "Malina" ist, auf den es der Anführer abgesehen hat, und welches Verbrechen er vor vielen Jahren begangen hat. Davon abgesehen steht von Anfang an außer Frage, dass die Geschichte kein gutes Ende nehmen wird.