21.11., 3sat, 21.45 Uhr: "Ein großer Aufbruch"
Die Konstellation ist denkbar schlicht, aber sie funktioniert immer wieder – vorausgesetzt, ein herausragender Regisseur kann mit einem exzellenten Drehbuch und großartigen Schauspielern arbeiten: Man versammele Menschen unterschiedlichen Alters, die einander in inniger Hassliebe zugetan sind, und setze ein paar Reizpunkte; prompt wird die Begegnung zum Tag der Abrechnung. Auch "Ein großer Aufbruch" ist ein Film, der Matti Geschonneck diverse Auszeichnungen bescheren wird: weil an dem Drama einfach alles stimmt. Keine Einstellung, kein Wort zuviel; ein Ensemble, das sich perfekt ergänzt; und schließlich eine Dramaturgie, die immer wieder für Überraschungen sorgt. Autor Magnus Vattrodt erzählt die Geschichte einer Feier, die einen völlig anderen Verlauf nimmt, als sich der Gastgeber dies gedacht hat: Holm (Matthias Habich) ist unheilbar krank und lädt Familie und Freunde zu einem letzten gemeinsamen Abend in sein Landhaus am Chiemsee ein. Er will, dem Titel zum Trotz, Abschied nehmen. Und dann gerät die Veranstaltung völlig aus den Fugen; am Ende ist nicht nur Holms selbstzufriedenes Lebensfazit zerschmettert.
22.11., ARD, 17.30 Uhr: "Gott und die Welt: Mann ist nicht krank"
Claus Hanischdörfer beschreibt in seinem Film ein weit verbreitetes Phänomen: Ein richtiger Mann kennt keinen Schmerz. Krankheit ist kein Thema in Männerkreisen; bis es zu spät ist. Männer leben risikoreicher und verletzen sich deshalb auch beim Sport häufiger als Frauen. Dreimal mehr Männer als Frauen sterben im Alter zwischen 50 und 65 an Herz-Kreislauferkrankungen. Hanischdörfer stellt zwei Männer vor, die schmerzliches Lehrgeld zahlen mussten: Guido Hülskopf, Berater für Gebäudetechnik, hat gerade einen Herzinfarkt überlebt. Mit 49 Jahren hat es ihn erwischt, das Durchschnittsalter bei einem Herzinfarkt ist 53. Es war ein Schuss vor den Bug: zu wenig Sport, selten gesundes Essen, dafür zu viel geraucht und Stress. Fall Nummer zwei ist der ehemalige Hochleistungssportler Lado Fumic. Gerade hat er sich bei einem Skiunfall das Knie zertrümmert und musste monatelang kürzer treten. Aber jetzt gibt er wieder Vollgas, wie schon immer in seinem Leben. Der frühere Olympia-Teilnehmer bewegt sich auch mit knapp 40 stets am Limit; und darüber hinaus. Vor vier Jahren hatte er einen Zusammenbruch. Hanischdörfer will rausfinden, ob der eine aus dem Burnout und der andere aus dem Herzinfarkt die richtigen Schlüsse gezogen haben.
22.11., 3sat, 21.45 Uhr: "Nackt unter Wölfen"
Als Bruno Apitz 1958 seinen Buchenwald-Roman "Nackt unter Wölfen" veröffentlichte, ging es ihm nicht zuletzt darum, die moralische Überlegenheit des Kommunismus über den Nationalsozialismus zu verdeutlichen; von dieser Haltung ist auch Frank Beyers Defa-Verfilmung aus dem Jahr 1963 geprägt. Reduziert man die Handlung jedoch auf ihren Kern, ist sie eine ähnliche Hommage an die Humanität wie Roberto Benignis tragikomisches KZ-Drama "Das Leben ist schön". Helden der Geschichte sind einige Männer, die im Frühjahr 1945 ihr eigenes Leben riskieren, um einen kleinen jüdischen Jungen zu retten. Das dreijährige Kind ist in einem Koffer ins Konzentrationslager Buchenwald geschmuggelt worden. Eine Gruppe von Häftlingen nimmt sich des Jungen an und versteckt ihn. Dass sie Kommunisten sind, ist zwar wesentliche Voraussetzung für ihre Sonderstellung innerhalb des Lagers, spielt im Grunde aber keine größere Rolle; Drehbuchautor und Grimme-Preisträger Stefan Kolditz ("An die Grenze") hat sich bei seiner Adaption vor allem auf die mitmenschlichen Aspekte konzentriert. Seine Spannung verdankt das knapp 105 Minuten lange Drama einem doppelten Hoffen und Bangen. Die Lagerinsassen wissen, dass die Amerikaner auf dem Vormarsch sind. Immer wieder wird wie bei einem Countdown die Zahl der Tage bis zur Befreiung am 11. April eingeblendet. Über die Pläne der SS sind die Häftlinge jedoch nicht informiert. Deshalb haben sie sich beizeiten dafür gewappnet, am Tag X die Leitung des Lagers zu übernehmen; und ausgerechnet Höfel kennt nicht nur die Namen sämtlicher Mitstreiter, sondern auch alle Waffenverstecke.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
23.11., ARD, 23.00 Uhr: "Citizenfour"
Als Edward Snowden seine erste verschlüsselte E-Mail unter dem Namen "Citizenfour" im Januar 2013 an Laura Poitras schickte, arbeitete die Regisseurin bereits an einem Film über die Praxis der Massenüberwachung. Snowden hatte sie als Kontaktperson gewählt, weil sie seit Jahren selbst eine Zielperson der Geheimdienste war, die bei der Einreise oder Ausreise in den USA regelmäßig aufgehalten und verhört wurde. Die Dokumentation "Citizenfour" lässt die Zuschauer teilhaben an den ersten Begegnungen mit Snowden. Poitras filmt die acht Tage der verdeckten Zusammenkünfte im Hotelzimmer, in denen Snowden über die vorgelegten Dokumente Auskunft gibt. Der Medienwirbel, der nach den ersten Artikeln über die Snowden-Dokumente über die vier Anwesenden hereinbricht, verstärkt den Druck zu schnellen Entscheidungen, die ihr Leben für immer verändern werden. "Citizenfour" zeigt nicht nur die Gefahren geheimdienstlicher Überwachungen auf; der Film lässt sie miterleben. Wer diesen Film gesehen hat, wird anders über den Umgang mit seinem Telefon, seiner Kreditkarte, seinem Webbrowser oder seinem Internet-Profil nachdenken. "Citizenfour" stellt außerdem den Menschen Edward Snowden vor und erhellt die Beweggründe für eine der folgenreichsten Enthüllungen der letzten Jahrzehnte. Der Film wurde mit dem "Oscar", der "Lola" und dem "Emmy" ausgezeichnet.
23.11., 3sat, 20.15 Uhr: "Meine Tochter Anne Frank"
Die weltberühmte Geschichte von Anne Frank ist dank eines Bühnenstücks, diverser Spielfilme und verschiedener Dokumentationen derart hinlänglich bekannt, dass eine weitere Verfilmung eigentlich unnötig erscheint; sieht man mal von der überraschenden Tatsache ab, dass die Initiativen zu den bisherigen Adaptionen des in siebzig Sprachen übersetzten Tagebuchs nie von deutschen Produzenten ausgegangen sind. Auch das Drehbuch von Hannah und Raymond Ley kann die Geschichte des Mädchens naturgemäß nicht neu erfinden, schildert sie aber aus einem ungewohnten Blickwinkel: Anne Frank bleibt selbstverständlich Erzählerin und somit zentrale Figur der Handlung, doch ihr Vater, der Titel deutet es an, nimmt ungleich mehr Raum ein als in den anderen Filmen. Auf diese Weise kann auch das Nachkriegsgeschehen berücksichtigt werden, denn Otto Frank, eindrücklich und mit viel Sympathie von Götz Schubert verkörpert, ist der einzige aus der Familie, der die Deportation in ein Vernichtungslager überlebt hat. "Meine Tochter Anne Frank" ist fraglos ein wichtiger und herausragender Film. Zum Fernsehereignis aber wird das Werk durch die Hauptdarstellerin: Die praktisch unbekannte Mala Emde gibt der jungen Frau ein Gesicht, das gleichzeitig bekannt wirkt und doch aufregend neu ist. Abgerundet wird das Dokudrama durch Interviews mit Menschen, die Anne kannten.
23.11., 3sat, 21.45 Uhr: "Das Zeugenhaus"
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden zum ersten Mal überhaupt Kriegsverbrecher vor Gericht gestellt. Wie die gesamte unmittelbare Nachkriegszeit, so sind auch die Nürnberger Prozesse ein fernsehfilmisch noch relativ unbeleuchtetes Kapitel der deutschen Historie. Matti Geschonneck (Regie) und Magnus Vattrodt (Buch), gemeinsam mit Grimme-Preisen für "Liebesjahre" und "Das Ende einer Nacht" ausgezeichnet, erzählen mit "Das Zeugenhaus" eine Geschichte, die mitunter derart kafkaesk ist, dass sie fast unglaubwürdig wirkt. Abgesehen von einigen künstlerischen Freiheiten aber haben sich die Ereignisse genau so zugetragen: Während der Nürnberger Prozesse sind Täter und Opfer unter einem Dach untergebracht worden. Was aus heutiger Sicht wie eine Zumutung anmutet, ist die Basis eines vorzüglich besetzten und gespielten Films, denn selbstredend lebt die Handlung vom Bemühen der Beteiligten, miteinander auszukommen. Die Spannung entsteht aus dem gegenseitigen Belauern, weil die Gäste zunächst nicht wissen, mit wem sie es zu tun haben. Die allgemeine Zurückhaltung aller Anwesender, was die unmittelbare Vergangenheit angeht, kommt selbstredend jenen entgegen, die sich von ihrer schmutzigen Vergangenheit reinwaschen wollen, weshalb sich beispielsweise der Gründer der Gestapo frech als Mitglied des Widerstands ausgeben kann. Das Schweigen führt aber auch zu dem absurden Missverständnis, dass ein KZ-Häftling für einen Lagerkommandanten gehalten wird.
24.11., ZDF, 22.15 Uhr: "37 Grad: Was am Ende wirklich zählt"
Im Rückblick auf das eigene Leben bedauern viele Menschen weniger ihre Fehler, sondern eher die Chancen, die sie nicht ergriffen haben, die verpassten Gelegenheiten. Doch das Leben so zu leben, wie man es wirklich leben will, erfordert immensen Mut. Und nichts scheint am Ende so viel zu wiegen wie Glück und Erfüllung in menschlichen Beziehungen. In der "37 Grad"-Dokumentation geht es um das Sterben, aber viel mehr noch um das Leben. Autorin Tina Soliman stellt in ihrem Film drei Frauen vor, die den Tod vor Augen haben und erkennen, dass sie mehr hätten wagen, mehr Gefühle hätten zulassen sollen. Am Ende des Lebens erahnen sie, worum es im Leben wirklich geht. Eine der Frauen ist Jutta Winkelmann, die zweite Hälfte der "Getty Twins", zwei Schwestern aus Kassel, die im Alter von 20 Jahren auszogen, um als Hippies Liebe in die Welt zu bringen, zunächst in Rom, dann in Los Angeles und schließlich in einem Leben ohne Grenzen. Heute ist Juttas Leben langsam, leiser und mühsam, aber immer noch spannend, denn die 66-Jährige erkennt jeden Tag mehr, was im Leben wirklich zählt: "Ich hätte mich mehr einlassen sollen auf die Liebe, nicht immerzu flüchten und suchen. Denn manchmal hatte man längst gefunden, was man suchte, doch man zog mit wehenden Fahnen weiter und hat es aus den Augen verloren."
24.11., 3sat, 20.15 Uhr: "Meister des Todes"
Dieser Fernsehfilm ist eine Fiktionalisierung von Tatsachen: Die Hauptfiguren sind erfunden, doch die skandalösen Ereignisse sind authentisch. Hanno Koffler spielt einen jungen Mann aus der Mitte der Gesellschaft, der mit Ereignissen fertig werden muss, die mindestens eine Nummer zu groß für ihn sind: Zunächst ist Peter Zierler mit Feuer und Flamme dabei, als er als Mitarbeiter des württembergischen Waffenherstellers HSW in Mexiko Vertreter von Militär und Polizei in die Funktionsweise des neuen Sturmgewehrs SG38 einführen soll. Kurz drauf gerät er versehentlich zwischen die Fronten einer Demonstration und muss mit ansehen, wie Polizisten ihr frisch erworbenes Wissen nutzen, um unbewaffnete Studenten zu erschießen. Schockiert will Zierler aussteigen, zumal sich herausstellt, dass HSW mit Duldung der Politik die Auflagen der Rüstungsexportkontrolle umgangen hat. Der Film wirkt nicht zuletzt dank der Bildgestaltung durch Gernot Roll äußerst aufwändig. Diesen Eindruck unterstreicht auch die Besetzung: Ein rundes Dutzend namhafter Schauspieler selbst in kleinsten Rollen gibt es sonst nur in teuren Prestigeproduktionen; das belegt einerseits die Bedeutung des Projekts und andererseits die Qualität des Drehbuchs.
25.11., 3sat, 21.45 Uhr: "Die Ungehorsame"
Es ist nicht selbstverständlich, dass dieser Film bei 3sat läuft, denn er ist eine Produktion von Sat.1; der Kulturkanal zeigt ihn im Rahmen des Wettbewerbs um den 3sat-Zuschauerpreis. Die Machart aber ist von großer Qualität, zumal die Beteiligten der Versuchung widerstanden haben, aus dem Ehedrama einen Krimi zu machen, obwohl der Film mit einer Leiche beginnt: Leonie Keller (Felicitas Woll) hat ihren Mann mit einer Tranchiergabel erstochen. Für Haftrichter und Staatsanwalt ist der Fall klar, Leonie wird wegen Mordes angeklagt. Ihre junge Pflichtverteidigerin (Alina Levshin) findet jedoch nach und nach heraus, dass der von Freunden und Bekannten in den höchsten Tönen gelobte Alexander Keller (Michael Mittermeier) ein Monster war. Die entsprechenden Szenen, die in Form von Rückblenden gezeigt werden, sind stellenweise beklemmend bis an den Rand der Erträglichkeit. Schon der emotionalen Wirkung der Bilder kann man sich kaum entziehen. Beide Hauptdarsteller verkörpern ihre Figuren mit einer Glaubwürdigkeit und Intensität, die preiswürdig ist. Marcus Mittermeier ist geradezu beängstigend überzeugend in seiner Rolle als krankhaft eifersüchtiger Ehemann, der praktisch im gleichen Atemzug Liebesschwüre und Hasstiraden von sich gibt und von Zärtlichkeit zu Zorn wechselt. Felicitas Woll wiederum spielt als Titelfigur keineswegs bloß als Opfer. Natürlich will der Staatsanwalt wissen, warum sie weder Hilfe gesucht noch die Flucht aus dem goldenen Käfig ergriffen hat; für beide Fragen, die man sich auch als Zuschauer stellt, findet das Drehbuch schlüssige Antworten.