Der Arbeitstitel des zweistündigen Dramas lautete „Witwenmacher“, was zynischer klingt, als es gemeint war; im Volksmund hießen die Düsenjäger auch „fliegende Särge“. Trotzdem ist der Film zunächst eine Hommage an die Kampfjets und die jungen Piloten, die mit ihren Sonnenbrillen und dem schneidigen Auftreten in der Tat ziemlich cool wirken. Im ersten Drittel orientiert sich „Starfighter“ auch dank überzeugender Spezialeffekte unverhohlen an amerikanischen Filmen wie „Der Stoff, aus dem die Helden sind“ oder „Top Gun“. Konsequent inszenieren Regisseur Miguel Alexandre und Kameramann Jörg Widmer den attraktiven männlichen Hauptdarsteller Steve Windolf als klassische Heldenfigur: Harry ist der beste Pilot seines Stützpunktes im rheinischen Nörvenich (zwischen Köln und Düren) und macht sich berechtigte Hoffnungen auf den Posten des Staffelkapitäns, aber sein Standortkommandant (Peter Kremer) hält ihn für verantwortungslos. Zu Recht: Um seine neue Freundin und spätere Frau Betti zu beeindrucken, fliegt der ohnehin für seinen waghalsigen Flugstil bekannte Pilot auch mal unter einer Brücke durch.
Und dann nimmt die Handlung eine Wendung, die außerordentlich mutig ist. Wirkt „Starfighter“ zunächst wie eine himmlische Variante von „Alarm für Cobra 11“, wechselt die Erzählperspektive in der zweiten Hälfte zu Betti. Prompt ändert sich die Ausrichtung des Films komplett; ein Manöver, das schon deshalb ein gewisses Risiko birgt, weil Betti-Darstellerin Picco von Groote im Gegensatz zu Frauenschwarm Windolf („Doc Meets Dorf“) den meisten Zuschauern völlig unbekannt sein dürfte. Dank des Drehbuchs von Kit Hopkins und Thilo Röscheisen und natürlich auch dank der Klasse und Erfahrung von Grimme-Preisträger Alexandre („Der Mann mit dem Fagott“, „Schicksalsjahre“) besteht jedoch nie die Gefahr einer dramaturgischen Schubumkehr, im Gegenteil: Geradezu elegant wechselt der Film mittendrin das Genre.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Das funktioniert auch deshalb so gut, weil sich Betti von der Frau an der Seite des Helden, die im Grunde bloß schmückendes Beiwerk ist, zu einer eigenständigen Persönlichkeit wandelt. Das wiederum hat zur Folge, dass „Starfighter“ mehr und mehr zum Sittengemälde der Sechziger wird, denn bis dahin wird der Zeitgeist ausschließlich durch Bettis aufmüpfige Freundin Helga (Alice Dwyer) verkörpert: Während Helga auf die Straße geht, um gegen den Vietnamkrieg zu demonstrieren, bleibt Betti die Rolle als Hausfrau und werdende Mutter. Das ändert sich radikal, als Betti dagegen aufbegehrt, dass die Luftwaffe die Fluguntauglichkeit der Starfighter ständig als Pilotenfehler ausgibt; nun wird auch Betti zur Rebellin. Als sie im Kampf gegen das mächtige Verteidigungsministerium als Kommunistin gebrandmarkt wird und den Kürzeren zieht, verklagt sie mit Hilfe eines amerikanischen Anwalts (Walter Sittler) kurzerhand Lockheed. Und so ist „Starfighter“ nicht das übliche RTL-Popcorn-Spektakel geworden, sondern ein inhaltlich und handwerklich anspruchsvolles TV-Drama. Dafür spricht auch die Liste der Nebendarsteller, die nicht wie bei anderen „Event“-Produktionen aus lauter Stars besteht; selbst wenn Frederick Lau als Harry bester Freund eine ganz besondere Rolle spielt.