Brüssel (epd)Die EU-Kommission setzt trotz fundamentaler Kritik auf eine engere Zusammenarbeit mit der Türkei. "Die derzeitige Flüchtlingskrise zeigt, wie wichtig eine Zusammenarbeit zwischen der EU und den Ländern Südosteuropas ist", sagte Erweiterungskommissar Johannes Hahn am Dienstag bei der Vorstellung der jährlichen Fortschrittsberichte zu den sieben EU-Beitrittsanwärtern. Im Fall der Türkei kritisiert die EU-Kommission unter anderem jüngst beschlossene Gesetze im Bereich Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Diese Gesetze "laufen europäischen Standards zuwider", rügte sie.
Fortschritte gemacht
Generell ist die Brüsseler Behörde der Ansicht, dass der Schutz der Menschenrechte in der Türkei in den vergangenen Jahren Fortschritte gemacht, in jüngster Zeit aber wieder nachgelassen habe. Die Geschwindigkeit der Reformen in dem Bosporus-Staat habe sich in den letzten Jahren verlangsamt, mahnt die EU-Kommission. Sie beklagt auch "eine ernste Verschlechterung der Sicherheitslage" und den Stopp der Friedensgespräche mit der Minderheit der Kurden.
Dennoch ist Hahn der Ansicht, dass der seit 2005 laufende Türkei-Beitrittsprozess das richtige politische Instrument sei: "Der EU-Erweiterungsprozess, der den Westbalkan und die Türkei einschließt, ist ein machtvolles Werkzeug, um Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte in diesen Ländern zu stärken", sagte er. Die Beitrittsgespräche kurbelten auch die Wirtschaft und die regionale Zusammenarbeit an. "Eine klare europäische Perspektive transformiert unsere Partnerländer Stück für Stück und stärkt die Stabilität um die Union herum", sagte der Kommissar aus Österreich.
Die EU bemüht sich derzeit verstärkt um einen Dialog mit der Türkei, die bei der Entschärfung des Syrien-Konflikts sowie als Aufnahmeland für Flüchtlinge eine entscheidende Rolle spielt. Insbesondere möchte sie, dass die Türkei Flüchtlinge auf ihrem Gebiet besser versorgt und sie so von der Weiterreise abhält. Im Oktober war Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in die Türkei gereist und hatte sich - kurz vor den Parlamentswahlen am 1. November - mit Präsident Recep Tayyip Erdogan getroffen.
Termin verschoben
Die EU-Kommission hatte die Veröffentlichung ihres kritischen Reformberichts zunächst vor den Wahlen geplant, den Termin jedoch verschoben. Hahn selbst wollte gemeinsam mit anderen hochrangigen EU-Vertretern noch am Dienstag zu einem Türkei-Besuch aufbrechen. Er kündigte an, dass in Kürze wohl ein weiteres der insgesamt 35 Verhandlungskapitel der Beitrittsgespräche geöffnet werden könne, das Kapitel 17 zur Wirtschafts- und Währungspolitik. Zudem schloss Hahn es nicht aus, dass die aktuellen Fortschritte bei der Lösung des Türkei-Zypern-Streits die Öffnung der politisch sensiblen Kapitel 23 und 24 zu Grundrechten und Justiz erleichtern könnten.