Das größte Kompliment gebührt ihr für die Führung des Titeldarstellers: Der junge Maximilian Ehrenreich ist offenbar ein Naturtalent. Mit seinen gerade mal zwölf Jahren trägt er diesen Film wie ein Großer. Dabei sind seine Dialoge, in die immer wieder mal Talmud-Zitate einfließen, nicht einfach, doch er besteht selbst eine Herausforderung meisterlich, an der sogar prominente Schauspieler oft scheitern: Simon führt als Erzähler durch die Handlung, und Ehrenreichs Text klingt kein bisschen vorgelesen oder auswendig gelernt.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
"Simon sagt auf Wiedersehen zu seiner Vorhaut" ist die klassische "Coming of Age"-Geschichte eines pfiffigen Jungen kurz vor der Pubertät, dessen Leben gewaltig aus den Fugen gerät: Simons Mutter Hannah (Lavinia Wilson) hat ihn und seinen Vater Frank (Florian Stetter) verlassen. Während Frank noch hofft, die Trennung sei nur vorübergehend, hat sich Hannah als Autorin erotischer Romane neu erfunden. Die Familie ist jüdischen Glaubens, was bislang aber anscheinend keine große Rolle gespielt hat. Nun jedoch besinnt sich Frank der Traditionen und beginnt, ein konsequent religiöses Leben zu führen. Dazu gehört natürlich auch, dass sein bislang unbeschnittener zwölfjähriger Sohn rechtzeitig zur Bar Mitzwah seine Vorhaut verlieren soll. Schon allein bei dem Gedanken daran wird Simon ganz mulmig. Der Film beginnt mit der Beschneidung eines Säuglings; bei Männern mit ausgeprägten Kastrationsängsten wird die entsprechende Szene starke Fluchtimpulse auslösen.
Aber dann tritt eine Frau in Simons Leben, die sämtliche Sorgen erst mal auslöscht. Die jüdische Gemeinde hat einen neuen Rabbiner, und als Simon den Seelsorger zum ersten Mal sieht, ist es umgehend um ihn geschehen: Rebecca Grünberg ist eine attraktive Frau um die dreißig, die prompt auch Frank verzaubert. Die Kanadierin Catherine De Léan ist für Matthias Schweighöfers Komödie "Schlussmacher" für das deutsche Filmwesen entdeckt worden und als Traum der schlaflosen Nächte von Vater und Sohn neben Ehrenreich der zweite Glücksgriff des Films.
Reduziert man Lipperts Drehbuch auf seinen Kern, handelt es von einer jugendlichen Schwärmerei, aber die Ansiedlung im jüdischen Milieu gibt der Geschichte natürlich ein spezielles Vorzeichen. Der NDR zeigt "Simon sagt auf Wiedersehen zu seiner Vorhaut" im Rahmen seiner neuen Debütreihe "Nordlichter"; interessanterweise war auch die Hauptfigur des ersten Films, "Familie verpflichtet", ein Jude, und auch dort war die Religionszugehörigkeit unabdingbare Voraussetzung für die Handlung. Das ist hier nicht anders, zumal sich der beschneidungsunwillige Simon dazu durchringt, die Titelvorgabe zu erfüllen, als er in einem Interview hört, dass Rebecca das Ritual befürwortet. Allerdings will er die Sache selbst in die Hand nehmen, und das geht buchstäblich in die Hose.
Sympathischer Umgang mit jüdischen Klischees
Mindestens so sympathisch wie Simons Versuche, der Rabbinerin seine Liebe zu beweisen, ist Lipperts ironischer Umgang mit Franks religiösem Übereifer und den jüdischen Klischees. Und während Autoren anderswo genötigt werden, Fachbegriffe wie Bar Mitzwah umständlich zu erläutern, werden die Erklärungen hier kurzerhand als Fußnote eingeblendet. Andere Ideen entsprechen dem Genre, sind aber trotzdem überraschend und kurzweilig. Für viel Trubel sorgt beispielsweise Simons älterer Freund Ben (Yuri Völsch, auch er famos geführt).
Um eine Strategie zu entwerfen, wie Simon seine große Liebe erobern kann, hat er Rebeccas Lebenswandel auf einer Pinnwand dokumentiert. Dummerweise wird die im Keller versteckte Sammlung von Fotos und persönlichen Gegenständen, die jedem Stalker zur Ehre gereichen würde, von einem Mitglied der Gemeinde entdeckt, was naturgemäß nicht ohne Folgen für Franks bis dahin tadellosen Leumund bleibt. Einfach, aber wirkungsvoll ist auch das ästhetische Konzept: In der ersten Hälfte schwelgen die Bilder von Kamerafrau Judith Kaufmann im Rausch der Frühlingsfarben, aber weil die Handlung im weiteren Verlauf auch nachdenkliche Züge annimmt, verliert der Film nach und nach seine unbeschwerte Farbenfreude. "Simon sagt auf Wiedersehen zu seiner Vorhaut" ist ohnehin weit mehr als eine heitere Komödie und definitiv zu schade, um nur am späten Abend im dritten Programm zu laufen.