TV-Tipp: "Ein großer Aufbruch" (ZDF)

TV-Tipp: "Ein großer Aufbruch" (ZDF)
Die Konstellation ist denkbar schlicht, aber sie funktioniert immer wieder – vorausgesetzt, ein herausragender Regisseur kann mit einem exzellenten Drehbuch und großartigen Schauspielern arbeiten: Man versammele Menschen unterschiedlichen Alters, die einander als Freunde oder Familienmitglieder in inniger Hassliebe zugetan sind, an einem Ort irgendwo außerhalb und setze ein paar Reizpunkte; prompt wird die Begegnung zum Tag der Abrechnung.

"Ein großer Aufbruch" ist nicht der erste Film, den Matti Geschonneck unter diesen Voraussetzungen gedreht hat; "Silberhochzeit" (Deutscher Fernsehpreis 2006) und "Liebesjahre" (Grimme-Preis 2012) folgten einem fast identischen Muster. Aber wenn nicht alles täuscht, wird ihm auch dieses Werk diverse Auszeichnungen bescheren: weil an dem Drama einfach alles stimmt. Keine Einstellung, kein Wort zuviel; ein Ensemble, das sich perfekt ergänzt; und schließlich eine Dramaturgie, die immer wieder für Überraschungen sorgt.

"Ein großer Aufbruch" ist seit "Liebesjahre", ihrer ersten Zusammenarbeit, bereits der achte Geschonneck-Film, der auf einem Drehbuch von Magnus Vattrodt beruht; darunter auch der Justizthriller "Das Ende einer Nacht" (2012, Grimme-Preis und Deutscher Fernsehpreis). Diesmal erzählt Vattrodt die Geschichte einer Feier, die einen völlig anderen Verlauf nimmt, als sich der Gastgeber das gedacht hat: Holm (Matthias Habich) ist unheilbar krank und lädt Familie und Freunde zu einem letzten gemeinsamen Abend in sein Landhaus am Chiemsee ein. Er will, dem Titel zum Trotz, Abschied nehmen; ein Treffen mit einem Schweizer Sterbehilfeverein ist bereits organisiert. Und dann gerät die Veranstaltung völlig aus den Fugen; am Ende ist nicht nur Holms selbstzufriedenes Lebensfazit zerschmettert.

Schon mit der Art ihrer Ankunft verrät Vattrodt viel über die Gäste: Holms bester Freund und früherer Kollege Adrian (Edgar Selge) wartet bereits seit einer Stunde, als endlich auch der Gastgeber eintrifft. Holms jüngere Tochter Charlotte (Katharina Lorenz) ist von München mit dem Taxi gekommen und bittet den Vater, den Fahrer zu bezahlen, was aber Adrian übernehmen muss. Die ältere Tochter, Marie (Ina Weisse), ist neben Holms Ex-Frau Ella (Hannelore Elsner) die einzige, die den Anlass des Treffens kennt, hat aber nur 17 Minuten Zeit, weil sie noch am selben Abend beruflich nach New York fliegen muss. Daraus wird natürlich nichts, denn sie wird ihrem Vater in den nächsten Stunden die Rechnung ihrer Kindheit präsentieren. Ella, die die Familie vor dreißig Jahren verlassen hat, um etwas zu führen, dass man beschönigend ein Lotterleben nennen könnte, bekommt ebenfalls ihre Abreibung. Nach und nach kommen weitere unliebsame Wahrheiten ans Licht: Ohne Adrian wäre der völlig verschuldete Holm seit Jahren ein Sozialfall; der Freund unterstützt ihn, obwohl er weiß, dass Holm schon seit Jahrzehnten ein Verhältnis mit seiner Frau Katharina (Ulrike Kriener) hat.

Liebevoll boshaft, exquisite Dialoge

Und dann gibt es noch einen Gast, der gar nicht eingeladen ist: Heiko ist Maries Freund und gleichzeitig auch ihr offenbar verheirateter Chef. Obwohl Matthias Brandt über weite Strecken des Films nicht viel mehr zu tun hat, als hin und wieder einen Satz einzuwerfen, ist Heiko dank Brandts gelassener Ausstrahlung der einzige in sich ruhende Pol der aufgeregten Runde. Nicht nur deshalb kommt ihm eine ganz entscheidende Rolle zu: Am Ende hat Heiko ungewollt großen Anteil daran, dass die Gäste endgültig den Glauben an Holms Selbst- und Weltbild verlieren.

Natürlich sind es vor allem die Figuren und die zum Teil liebevoll boshaften exquisiten Dialoge, die die offenkundige Qualität dieses Films ausmachen, und angesichts des fantastischen Ensembles muss sich Geschonneck wie der Trainer eines fußballerischen Spitzenclubs gefühlt haben; aber selbst als Bühnenstück wäre das Kammerspiel kein Selbstläufer. Kongenial ist auch die Bildgestaltung von Martin Langer, der hier zum fünften Mal mit Geschonneck gedreht hat (zuvor unter anderem bei "Duell in der Nacht", 2007, und "Boxhagener Platz", 2010); die Kameraarbeit ist ähnlich ausgeklügelt wie Vattrodts Dialoge.