"Matschkopp" war ein früher Titel dieses Projektes, an dem Rolf Silber (Buch und Regie) acht Jahre lang gearbeitet hat; später hieß es "Hinter dem Spiegel". Der Inhalt variierte, der Kern war identisch: Aus heiterem Himmel wird ein kerngesunder Mann von einer Hirnblutung heimgesucht. Die Geschichte, die Silber ("Echte Kerle") erzählt, ist allerdings ungleich komplexer: Sein Protagonist, Jan (Oliver Stokowski), leitet eine Event-Agentur. Ausgerechnet am Tag der Abrechnung macht ihm sein Körper einen Strich durch seine Pläne. Gerade noch hat er seinem Partner eröffnet, dass er von dessen Betrügereien weiß. Am Abend will er Gattin Karla (Katharina Böhm) gestehen, dass er mit einer Angestellten (Bernadette Heerwagen) eine Affäre hatte; da bricht er zusammen.
Es folgt eine vielschichtige Handlung: In der folgenden Nacht muss es Karla um jeden Preis gelingen, Jan wach zu halten, sonst wird er sterben. Aber dann steht sie schon vor der nächsten Hürde: Sie soll entscheiden, ob er operiert werden soll. Ohne Operation würde er wohl sterben; mit vielleicht auch. Und während sie um das Leben ihres Mannes kämpft, nutzt Kompagnon Tom Jans Abwesenheit, um Firmenunterlagen zu fälschen und ihm den eigenen Betrug in die Schuhe zu schieben. Zu allem Überfluss findet Karla auch noch raus, dass Jan sie betrogen hat.
Diese unterschiedlichen Ebenen allein wären schon spannend genug, aber das genügte Silber nicht: Er hat dem Film eine Ästhetik verpasst, die ihn weit aus dem Fernsehalltag herausragen lässt. Gemeinsam mit Kameramann Stephan Wagner ist ihm eine aufregende Bildgestaltung gelungen, die mitunter fast experimentellen Charakter hat. Immer wieder verdeutlicht Silber mit optischen Mitteln, wie die Blutung in den Stammganglien, also gewissermaßen im Steuerungssystem des Gehirns, Jans Wahrnehmung verzerrt. Zu diesem Zweck zieht er alle bekannten Register (Aufnahmen in Zeitlupe, eine kreiselnde Kamera, extreme Perspektiven), erfindet aber auch einige weitere dazu. Kongeniale Unterstützung erhält die visuelle Ebene durch die Arbeit von Peter W. Schmitt, der keine klassische Filmmusik komponiert hat, sondern für akustische Kaskaden mit melodischen Einschlüssen sorgt.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Im Gegensatz zu Julian Schnabels Verfilmung der Autobiografie "Schmetterling und Taucherglocke" von Jean-Dominique Bauby, der sich nach einem Schlaganfall in seinem Körper wie eingesperrt vorkam ("Locked-in"-Syndrom), muss sich Jan seine geistige Gesundheit erst wieder mühsam erarbeiten. Perfekt illustriert wird sein Zustand durch eine Einstellung wie aus einem Kubrick-Film, als Jan in Fötalhaltung schwerelos durchs Orbit schwebt.
Ähnlich herausragend wie die Kameraarbeit ist die Leistung von Oliver Stokowski. Fast den ganzen Film hindurch kann sich Jan nur durch Geräusche verständlich machen kann; über weite Strecken spielt Stokowski die Figur praktisch allein mit den Augen. Reizvoll ist auch die Besetzung des Gegenspielers: Tim Bergmann, auf positive Rollen abonniert, arbeitet mit diabolischem Charme gegen sein Image als Frauenschwarm an, zumal sich Tom auch noch schamlos an Karla ranmacht. Ergänzt werden die drei Hauptrollen durch sorgsam ausgearbeitete Nebenfiguren: Johanna Gastdorf als zupackende Krankenschwester, Michael Brandner als bodenständiger Bettnachbar, der Jan am Ende sogar das Leben rettet, und Jevgenij Sitochin als behandelnder Arzt.