Haitis schwerer Weg zu Demokratie

epd-bild / Matthias Knecht
Port-au-Prince, Haiti, 2011: Auch fünf Jahre nach dem Erdbeben geht der Aufbau nur schleppend voran.
Haitis schwerer Weg zu Demokratie
Stell Dir vor, es ist Wahl und keiner geht hin: Nach dem völligen Desinteresse an der chaotischen Parlamentswahl in Haiti schaffen es auch die Präsidentschaftskandidaten kaum, Wähler zu mobilisieren.

São Paulo (epd)In Haiti ist es schwer, Hoffnung in einen Neuanfang zu setzen. Der Inselstaat in der Karibik ist das Armenhaus Amerikas. Auch fünf Jahre nach dem schweren Erdbeben mit rund 300.000 Toten sind die Wunden noch überall spürbar. Der Aufbau geht langsam voran, die Politik blockiert sich seit Monaten selbst. Die Parlamentswahlen im August galten deshalb als Testlauf für die Demokratie. Doch der Urnengang war überschattet von Gewalt und Chaos. Und nur wenige Menschen hatten Vertrauen in die Politik: Die Wahlbeteiligung lag bei nur rund 15 Prozent.

Korrupte Eliten

Mit Spannung wird daher der nächste Wahltag am Sonntag erwartet. Etwa 5,8 Millionen Menschen sind aufgerufen, ein neues Staatsoberhaupt zu bestimmen, außerdem Parlamentarier und zwei Drittel der Senatoren im zweiten Wahlgang und Bürgermeister. Präsident Michel Martelly darf nicht wieder antreten. Doch die Liste ist lang: 54 Kandidaten bewerben sich um das höchste Staatsamt, die meisten aus dem Dunstkreis der alten korrupten Elite des Landes. Der Ausgang der Abstimmung gilt als völlig offen. Wenn kein Kandidat eine absolute Mehrheit erhält, kommt es am 27. Dezember zur Stichwahl.

Als Favoriten gelten Jude Célestin von der Oppositionspartei LAPEH ("Alternative Liga für Fortschritt und Emanzipation Haitis"), der 2010 schon einmal antrat, und der Regierungskandidat Jovenel Moïse. Ihre Wahlkampfversprechen sind ähnlich. Beide wollen einen raschen Wiederaufbau des Landes und mehr Projekte für die Armutsbekämpfung. Rund 78 Prozent Haitianer leben unter der Armutsgrenze.

Verwirrende Situation

Anfang September verkündete die Oppositionspartei Vérité (Wahrheit) des früheren Präsidenten René Préval ihren Boykott. Als Grund nannte sie Gewalt und Unregelmäßigkeiten bei den Parlamentswahlen in fast jedem zweiten Wahllokal. Zuvor hatte die Wahlkommission den aussichtsreichen Bewerber der Partei, Jacky Lumarque, wegen angeblich nicht vollständig eingereichter Unterlagen von der Liste der Präsidentschaftskandidaten gestrichen. Lumarque ist Rektor der Quisqueya-Universität, einer der besten Hochschulen des Landes.

Danach gab es immer wieder Forderungen nach einer Verschiebung der Präsidentenwahl. "Es ist eine sehr verwirrende Situation. Es gibt zu viele problematische Personen in der Politik", sagt Fritz Dorvilier, Soziologe an der Staatlichen Universität der Hauptstadt Port-au-Prince. Es sei vielfach unklar, wofür die Parteien stünden, und keiner wisse, wohin die Reise gehe.

Schwache Wahlkommission

Nachdem sich Regierung und Opposition monatelang nicht auf einen Wahltermin einigen konnten, löste sich das Parlament im Januar auf. Seitdem regiert Präsident Martelly per Dekret. Der aufgestaute Frust der Menschen entlud sich in zahlreichen Demonstrationen, die oft von Gewalt überschattet wurden. Schließlich verständigten sich die verfeindeten Lager auf die Zusammensetzung einer Wahlkommission, die aber als schwach gilt.

Der Soziologe Dorvilier und andere Experten befürchten, dass auch die Präsidentenwahl im gleichen Chaos versinken könnten. Das käme einer Explosion gleich, sagt er. Aber auch die internationale Gemeinschaft, an deren Tropf Haiti noch immer hängt, schaut gespannt auf die Wahl. Die EU ist seit Monaten mit einem Beobachterteam vertreten. Die USA unterstützen den Wahlprozess mit rund 30 Millionen US-Dollar.