Kriminologe warnt vor weiteren Aggressionen in
Flüchtlingsunterkünften

epd-bild/Christian Ditsch
Flüchtlinge in der Erstaufnahmeeinrichtung in Eisenhüttenstadt.
Kriminologe warnt vor weiteren Aggressionen in Flüchtlingsunterkünften
Martina Schwager (epd-Gespräch)
In Flüchtlingsunterkünften könnte es immer öfter gewalttätige Auseinandersetzungen geben, warnt der Kriminologe Thomas Bliesener. Dagegen helfe, den Menschen eine Beschäftigung zu ermöglichen.

Hannover (epd)Der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, Thomas Bliesener, hat davor gewarnt, die Gefahr zunehmender Aggressionen in Flüchtlingsunterkünften zu unterschätzen. Dort gebe es eine Gemengelage, bei der abzusehen sei, dass es immer häufiger zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommen werde, sagte Bliesener dem Evangelischen Pressedienst in Hannover. Auch seien die Bewohner aufgrund der Enge und Langeweile anfällig für Anwerber von extremistischen Organisationen. Dazu habe das Institut gerade eine Untersuchung gestartet.

Das vordringliche Ziel müsse sein, besonders die jungen Männer von Anfang an sinnvoll zu beschäftigen. Dies sei über Sport oder kreative Angebote möglich. Es könnten aber auch Hilfstätigkeiten in der Lagerorganisation oder für andere Flüchtlinge sein. Er könne sich auch vorstellen, dass Asylbewerber etwa in Schulen über ihre Erlebnisse berichten, sagte der Kriminologe. Umgekehrt könnten etwa Einheimische Patenschaften für einzelne Flüchtlinge übernehmen. Persönliche Beziehungen könnten Aggressionen vorbeugen und den Spracherwerb erleichtern.

"Leicht aus der Ruhe zu bringen"

In den vergangenen Wochen war es bundesweit in mehreren Erstaufnahmelagern zu Schlägereien unter männlichen Asylbewerbern gekommen. Am Wochenende hatte vermutlich ein 24-jähriger Somalier in einer Flüchtlingsunterkunft im niedersächsischen Neuenkirchen einen 20-jährigen Landsmann erstochen.

In Wohncontainern, Zelten oder Turnhallen lebten viele Flüchtlinge auf engem Raum, ohne dass sie sich sinnvoll betätigen könnten, erläuterte Bliesener. Junge Männer hätten ohnehin ein hohes Aggressionspotenzial. "Die meisten Schutzsuchenden sind zudem traumatisiert und somit durch äußere Umstände leicht aus der Ruhe zu bringen." Viele hätten in ihrer Heimat Gewalt als probates Mittel der Konfliktbewältigung kennengelernt. Außerdem brächten sie ethnische und religiöse Ressentiments aus ihren Herkunftsländern mit. Hinzu kämen noch die Verständigungsschwierigkeiten, die sie hinderten, Streitigkeiten verbal zu lösen.

Eigentlich bräuchten die Flüchtlinge bei diesen ungünstigen Konstellationen so schnell wie möglich Sicherheit über ihren Status, eine Zukunftsperspektive und die Integration in den Arbeitsmarkt, forderte der Direktor. Weil das aber so schnell nicht funktionieren werde, sei Beschäftigung das oberste Gebot. Dabei sollten die Verantwortlichen auch ungewöhnliche Wege gehen und bürokratische Hindernisse wie etwa Versicherungs- oder Datenschutzregelungen abbauen.