In den meisten Metropolen freuen sich die Menschen, wenn ihre Stadt wieder mal "Tatort"-Schauplatz ist. In Dortmund könnte das anders sein, denn die Krimis zeigen das wirtschaftliche Herz des Ruhrgebiets regelmäßig von seinen düstersten Seiten. Wie schon seinen zweiten "Tatort" mit dem damals noch neuen Team, "Mein Revier", so hat Autor Jürgen Werner auch die siebte Episode im Norden der Stadt angesiedelt, dort also, wo Krieg herrscht, wie ein Polizist damals versicherte; daran hat sich nichts geändert. Aber nun wird auch die Bevölkerung in diesen Krieg hineingezogen: Ein kleines Mädchen findet beim Buddeln in einem Spielplatzsandkasten ein Päckchen, hält den Inhalt für Süßigkeiten und stirbt; was wie ein Bonbon aussah, war in Wirklichkeit Kokain. Dank der Videoaufnahmen einer Razzia am Vortag finden die Ermittler recht bald raus, dass sich zwei schwarzafrikanische Flüchtlingsgeschwister der Drogen im Sand entledigt haben, als sie vor der Polizei weggerannt sind.
Geschichten mit toten Kindern gehen selbst hartgesottenen Krimifans unweigerlich an die Nieren, und der Film beschönigt nichts. Dieser Teil der Handlung ist bedrückend und fesselnd, zumal der Vater (Sönke Möhring) und ein Freund (Werner Wölbern) auf Rache aus sind; als die junge Afrikanerin erschlagen wird, geraten sie selbstredend als erste in Verdacht; der Täter hat rasend vor Wut immer wieder zugeschlagen. Ebenso viel Gewicht wie der eigentliche Fall bekommen jedoch die vier Team-Mitglieder, und mitunter hat es den Anschein, als wolle Werner, der bis auf den letzten Film ("Schwerelos") alle Drehbücher für die Dortmunder geschrieben hat, seine Figuren zurückerobern. Aber was bei Hauptkommissar Faber hochinteressant war, weil seine psychischen Probleme schließlich in einen packenden Fall mündeten, erweist sich beim Rest des Teams eher als Ablenkung, zumal die Darsteller nicht das Format von Jörg Hartmann haben: Kollegin Bönisch (Anna Schudt) frönt nach wie vor dem anonymen Hotelsex und bangt um das Sorgerecht für ihre Kinder, aber weil Werner die Familie nie eingeführt hat, bekommt sie auch keine besondere Relevanz.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Der polizeiliche Nachwuchs (Aylin Tezel, Stefan Konarske) war immerhin drauf und dran, erwachsen zu werden, aber Oberkommissar Kossik erlebt einen heftigen Rückfall, weil Ex-Freundin Dalay einen neuen Freund hat. Die daraus resultierende Dünnhäutigkeit und die entsprechenden Verbalscharmützel mit dem Chef sind weder inhaltlich noch darstellerisch wirklich überzeugend. Selbst Hartmann hat diesmal seine schwachen Momente: Fabers polternde Auftritte beim türkischen Drogenboss (Adrian Can), der auch schon in "Mein Revier" mitmischte, wirken nicht bedrohlich, sondern bloß großspurig.
All das überrascht, denn Dror Zahavi ist aktuell einer der interessantesten deutschen Fernsehfilmregisseure ("Marcel Reich-Ranicki: Mein Leben"). Er hat mit "Auf ewig Dein", dem Film, in dem Faber den Mörder seiner Familie fand und endlich sein Trauma bewältigte, einen sehenswerten Dortmunder "Tatort" gedreht; und "Franziska" war einer besten Kölner "Tatort"-Krimis seit langen. "Kollaps" aber überzeugt in erster Linie durch die zwielichtige Bildgestaltung Gero Steffens, mit dem Zahavi schon über ein Dutzend Filme gemacht hat. Und während die Szenen mit den Eltern, deren Wut auf die Fremden in ihrem Stadtviertel unangenehm authentisch sind, wirken die Gespräche zwischen Faber und dem Bruder der ermordeten Afrikanerin wie der pädagogische und entsprechend kraftlose Versuch, um Verständnis für die Flüchtlinge zu werben. Immerhin kommt gegen Ende, als ein weiterer schwarzer Dealer stirbt und Faber den jungen Mann als Köder missbraucht, echte Krimispannung auf; der Schluss ist, der Geschichte entsprechend, grimmig, finster und deprimierend.