Freier Fall ins Taufbecken

Pastor Roland Bunde (re.) tauft Adrian Görisch in der Baptistengemeinde Barsinghausen bei Hannover.
Foto: Dethard Hilbig
Taufe in der Baptistengemeinde Barsinghausen bei Hannover: Adrian Görisch (li.) mit Pastor Roland Bunde.
Freier Fall ins Taufbecken
Bei einer baptistischen Taufe wird der Täufling nass - und zwar komplett. Statt Babys werden Jugendliche oder Erwachsene getauft und damit in die Gemeinde aufgenommen. Wie so ein Taufgottesdienst abläuft, hat unsere Reporterin Leonore Kratz in der Hoffnungsgemeinde in Barsinghausen bei Hannover erlebt. Teil drei unserer Serie "Was glaubt ihr? evangelisch.de besucht Freikirchen".

Ganz in weiß gekleidet sitzen die 18-jährige Nanke Ulferts und der 19-jährige Adrian Görisch in der ersten Reihe der Kirche. An diesem sonnigen Morgen des Erntedankfests soll in der Hoffnungsgemeinde in Barsinghausen die Taufe der beiden gefeiert werden. Und das bedeutet bei den Baptisten: Ganz untertauchen in das marmorne Taufbecken rechts vom Abendmahlstisch.

Der moderne Kirchenraum mit dem grünen Teppichboden und den großen Fensterfronten ist fast bis auf den letzten Platz gefüllt. Etwa 150 Menschen aus allen Altersgruppen winken sich zu, halten ein kleines Schwätzchen oder bewundern den Tisch. Der steht auf einem kleinen Treppenpodest und ist festlich geschmückt mit Kürbissen, Kartoffeln, Äpfeln, Strohballen und Blumen. Pünktlich um zehn ziehen die Kinder ein und eröffnen den Gottesdienst mit einem Dankeslied. Viele Gemeindemitglieder stimmen mit ein, der Liedtext ist an die Wand projiziert. Begleitet werden sie von einer Band: Gitarre, Querflöte, Flügel, Cajon.

Ein Jahr lang kam die Baptistengemeinde in Barsinghausen ohne Pastor aus.

Nach dem Auftritt der Kinder (die die Kirche schon wieder verlassen haben, um für das Weihnachts-Musical zu proben) tritt nicht der Pastor, sondern Marianne Mäß vor die Gemeinde. "Lasst uns zum Erntedankfest nicht nur im Himmel eine Party feiern." Die Frau mit dem orangefarbenen Jackett gehört zum Moderationsteam der Gemeinde und führt regelmäßig durch den Gottesdienst. "Wie zeigen wir an diesem Tag Dank?", fragt Mäß die Gemeinde und bittet um Spenden für eine Hilfsorganisation, die sich weltweit um verfolgte Christen kümmert. Während die Spendenkörbchen durch die Reihen gereicht werden, ist es ruhig, die Band hat Pause. Anschließend spricht die Moderatorin ein Gebet mit der Gemeinde. "Gott, das Geld haben wir dir geschenkt, damit du es an die Bedürftigen verteilst." Weil die Baptisten vom Priestertum aller Gläubigen überzeugt sind, kann hier jeder ein Gebet anleiten.

"Your love never fails", singen vier junge Frauen zusammen mit der Band. Ein Techniker vor einem großen Mischpult im hinteren Teil des Raumes sorgt für satten Sound. Es ist nicht das letzte Lied an diesem Oktobermorgen, zu dem die Gemeinde mitsingt oder den Fuß mit wippen lässt. Erst jetzt stellt sich Roland Bunde, der Pastor der Gemeinde, nach vorne. Bunde ist seit einem Jahr in Barsinghausen und sagt scherzhaft, dass die Gemeinde ihn eigentlich gar nicht bräuchte. Ein Jahr lang war die Stelle vakant, in der Zeit haben Gemeindemitglieder das Predigen übernommen. "Aber es gibt trotzdem den Wunsch, dass da einer ist, man braucht einen Hirten." Als wichtigste Aufgaben in seinem Pastorendienst sieht Roland Bunde das Zusammenhalten und Leiten der Gemeinde, die Seelsorge und die Verkündigung des Evangeliums.

Heute spricht er über Psalm 103. "Gott ist barmherzig und gnädig, geduldig und groß an Güte." Im Alltag könne man das schnell mal vergessen, alles für selbstverständlich nehmen. Deswegen spricht der Pastor manchmal mit Gott und zählt ihm auf, wofür er dankbar ist. Für den vollen Kühlschrank, die warme Dusche oder ein gutes Gespräch. Der 47-Jährige spricht schnell und eindringlich, seine Sprache ist leicht verständlich. Postkarten werden verteilt, darauf steht: "Gott sei Dank, dass es dich gibt." Bunde hat einen Vorschlag: "Was haltet ihr davon, wenn ihr die Karte an euren Badezimmerspiegel klebt?" Zum Abschluss seiner Predigt spricht er die beiden Täuflinge direkt an: "Schön, dass es dich gibt."

Nanke Ulferts wollte unbedingt an diesem Sonntag getauft werden.
Pünktlich zur Taufe kommen die Kinder wieder rein, sie sollen dabei sein. Die beiden Täuflinge gehen nach vorne. Erst vor kurzem hat sich die 18-jährige Nanke den Fuß beim Basketball verletzt und läuft deswegen an Krücken. Aber die Taufe wollte sie unbedingt durchziehen, seit sie auf einer Freizeit war. "Da habe ich gemerkt, dass Gott mich angesprochen hat und ich seine verlorene Tochter bin", erzählt die blonde junge Frau der Gemeinde. Auch der schmale, dunkelhaarige Adrian hat ein Taufbekenntnis vorbereitet. Während er eine Therapie gegen seine Computerspiel-Sucht durchgezogen hat, fühlte der 19-Jährige sich oft einsam. "Aber Gott war immer da."

Nun heißt es rein ins hüfthohe Nass im Taufbecken. Roland Bunde, in schwarzer Hose, schwarzem Hemd und Socken, macht den Anfang. "Das Wasser ist angenehm warm", versichert er. Als Nanke in ihrem weißen Gewand dazu kommt, legt der Pastor eine Hand auf ihre Schulter. Nankes Taufbegleiterin liest ihren Taufspruch vor, Bunde spricht die entscheidenden Worte: "Ich taufe dich im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes." Und Nanke? Die lässt sich rückwärts ins Wasser fallen, taucht komplett unter und wird vom Pastor wieder aufgerichtet. Ein sehr symbolischer, bewegender Moment. Während die 18-Jährige durch eine Hintertür vom Taufbecken aus direkt in die Sakristei verschwindet, ist Adrian dran. Bunde tauft auch ihn, inklusive dem imposanten Fall ins Wasser, dann gehen die beiden in die hinteren Räume, um sich umzukleiden. In der Sakristei warten Handtücher, ein Fön und frische Klamotten.

Die Gemeinde macht derweil alleine weiter mit dem Lobpreis. Ein Lied von der Band, dann wird es still für das freie Gebet. Hier darf jeder aufstehen und einfach drauf los beten. Sechs Gemeindemitglieder wollen Gott an diesem Sonntag danken. Für die beiden Täuflinge zum Beispiel oder dafür, dass er immer da ist. Während der Gebete schließen sich Nanke, Adrian und Bunde, trocken und festlich gekleidet, der Gemeinde wieder an. Langsam neigt sich der Gottesdienst seinem Ende entgegen, aber vorher wird noch das Abendmahl gefeiert.

Pastor Roland Bunde spricht schnell, aber leicht verständlich.

Das gibt es in der Hoffnungsgemeinde einmal im Monat. "Jeder, der Gott dankbar ist, dass er seinen Sohn für uns geschickt hat, ist herzlich eingeladen", sagt Bunde. Die Einladung gilt bei den Baptisten auch für Menschen anderer Konfessionen. Wer allerdings Probleme hat, an Gottes Sohn zu glauben, soll den Kelch und das Brot lieber weiterreichen, rät der Pastor und bezieht sich damit auf den 1. Korintherbrief: "Der Mensch prüfe aber sich selbst", schrieb der Apostel Paulus (1. Korinther 11, 27-28). Nicht der Pastor, sondern drei Gemeindemitglieder sprechen die Worte zum Abendmahl. Dafür gibt es keine feste Liturgie. Sie erklären frei, warum das Brot gegessen und der Wein getrunken wird. Anschließend reichen die Helfer die Brotstücke und die Kelche mit Traubensaft zwischen den Stuhlreihen durch, jeder nimmt sich selbst.

Ein letztes Mal an diesem Sonntagvormittag stellen sich Nanke und Adrian vor die Gemeinde. Die frisch getauften jungen Erwachsenen bekommen ein Kreuz geschenkt und ein Gemeindeverzeichnis, damit sie die knapp 200 Mitglieder und Freunde der Hoffnungsgemeinde besser kennenlernen können. Dann werden die beiden von ihren Taufbegleitern gesegnet. Sie wünschen ihnen Begleitung und Schutz durch Gott für den Rest ihres Lebens. Nach einem gemeinsamen "Vater unser" spricht Pastor Bunde auch für den Rest der Gemeinde den Segen. Damit endet nach anderthalb Stunden der offizielle Teil des Gottesdienstes. Im Foyer aber dampfen schon Kaffeekannen und warmes Essen auf einem reichhaltigen Buffet. Die meisten Gottesdienstbesucher werden noch eine ganze Weile zusammen bleiben, hier in der Hoffnungsgemeinde an diesem Erntedank-Vormittag.