Die Bischöfe, Präsides und Kirchenpräsidenten haben ihrem Sechs-Punkte-Papier einen Psalmvers vorangestellt: "Wie köstlich ist deine Güte, Gott, dass Menschenkinder unter dem Schatten deiner Flügel Zuflucht haben!" (Psalm 36,8) Die 20 Unterzeichnenden beklagen, dass Millionen von Menschen Nahrung, Auskommen und Wohnung verwehrt sind und bezeichnen es als ein "Gebot der Humanität und für uns ein Gebot christlicher Verantwortung", Flüchtlinge willkommen zu heißen und aufzunehmen.
Die Vertreter der evangelische Kirche werben dafür, Schutzsuchenden legale Wege nach Europa zu eröffnen. Dies seien die wirksamsten Maßnahmen gegen die Gefahren der Flucht. "Wir fordern deshalb legale Wege für Schutzsuchende und begrüßen Diskussionen über ein Einwanderungsgesetz, das neue Zuwanderungsmöglichkeiten für Menschen auf der Suche nach Arbeit und einem besseren Leben eröffnet", schreiben die Leitenden Geistlichen der 20 evangelischen Landeskirchen in dem Papier, das am Dienstag in Brüssel, Hannover und allen Landeskirchen veröffentlicht wurde.
In der Geschichte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist es das erste Mal, dass die Spitzenrepräsentanten aller Landeskirchen eine gemeinsame Erklärung beschlossen. "Mit dieser Erklärung wollen wir für unsere evangelischen Kirchen inmitten intensiver Debatten einen Beitrag zur Orientierung schaffen", sagte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, der auch Landesbischof in Bayern ist.
Konkret nehmen die Leitenden Geistlichen nicht zur Wiedereinführung von Grenzkontrollen und der Verteilung von Flüchtlingen in der Europäischen Union Stellung. Sie fordern nur, Europa müsse gemeinsam handeln und seinen humanitären Verpflichtungen gemeinschaftlich nachkommen. "In ihrer Not begeben sich Menschen auf der Flucht in Lebensgefahr. Es ist humanitäre Pflicht, alles zu tun, um Menschen aus Seenot und vor anderen Gefahren zu retten." Gegen menschenverachtende Schlepperbanden und mafiöse Strukturen müsse mit polizeilichen Mitteln vorgegangen werden.
Angesichts der hohen Flüchtlingszahlen sehen die Leitenden Geistlichen die Gesellschaft in Deutschland vor einer großen Herausforderung, die jedoch auch Kräfte mobilisiere. "Von ganzem Herzen" äußern sie ihren Dank für die Hilfsbereitschaft in Kirche, Gesellschaft, Staat und Politik sowie den Einsatz von Ehren- und Hauptamtlichen, die für Flüchtlinge sorgten. In dem Papier wird versichert, Willkommenskultur und die Integration der Zufluchtsuchenden gehöre zu den zentralen Aufgabe von Kirchengemeinden und kirchlichen Einrichtungen.
"Eine Umkehr von ungerechten Verhältnissen ist an der Zeit"
Den Deutschen sei aufgrund der Geschichte besonders bewusst, welches Geschenk Hilfe in der Not und offene Türen bedeuteten, unterstreichen die evangelischen Kirchenvertreter. Entschieden widersprechen sie Fremdenfeindlichkeit, Hass oder Rassismus. Sorgen und Ängste vor Überforderung müssten ernst genommen, dürften aber nicht für menschenfeindliche Stimmungen missbraucht werden.
In dem Sechs-Punkte-Papier wird auch auf Fluchtursachen wie Klimawandel, Kriege, Verfolgung, Zusammenbruch von Staaten verwiesen. Darin sei auch die Bundesrepublik "tief verwickelt" über globale Handelsbeziehungen, Waffenlieferungen und einen Lebensstil, der die Ressourcen der Erde verbrauche. "Eine Umkehr von diesen ungerechten Verhältnissen ist an der Zeit", mahnen die Leitenden Geistlichen. Sie schließen ihre Erklärung mit den Worten: "In der Gewissheit, dass Menschen unter Gottes Flügeln Zuflucht haben, bringen wir die Not aller Menschen in unseren Gebeten vor Gott und bitten ihn um Kraft für die vor uns liegenden Aufgaben."
Bei der Vorstellung der Erklärung in den jeweiligen Landeskirchen würdigten die Leitenden Geistlichen den Einsatz ihrer Kirchengemeinden. Vielerorts gebe es Initiativen zur Unterstützung von Flüchtlingen, zum Beispiel Unterbringung oder Sprachkurse. "Wir wollen für das Engagement vieler Menschen danken und dazu ermutigen, trotz der großen Herausforderungen darin nicht nachzulassen", sagte der lippische Landessuperintendent Dietmar Arends - ähnlich äußerten sich einige der Bischöfe, Präsides oder Kirchenpräsidenten.
Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm hat das Sechs-Punkte-Papier der Leitenden Geistlichen am Dienstag persönlich bei der EU-Kommission in Brüssel vorgestellt. Dabei kritisierte er unter anderem den neu errichteten Grenzzaun zwischen Ungarn und Serbien. Dieser Zaun sei "ein Konjunkturprogramm für Schlepperbanden", sagte er. Es sei "völlig naiv zu glauben", dass er verzweifelte Flüchtlinge zur Rückkehr in ihre Heimat bewegen werde, unterstrich der Ratsvorsitzende. Am Sonntag und Montag hatte Bedford-Strohm selbst Flüchtlingscamps in Ungarn und Serbien besucht. Das Engagement lokaler und internationaler Helfer vor Ort habe ihn sehr beeindruckt, sagte der EKD-Ratsvorsitzende: "Ich möchte nicht, dass wir Europa in Gute und Böse aufteilen. Die Guten sind die Deutschen, die Ungarn die Bösen." Solche Stereotypen gelte es zu überwinden. Auf seiner jüngsten Reise habe er viel Hilfsbereitschaft und Offenheit erlebt: "So viele Menschen in Ungarn und Serbien packen mit an und helfen den Flüchtlingen."
Für die Suche nach europäischen Lösungen biete er dem EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker die Hilfe der Kirchen mit ihren Netzwerken in vielen Ländern an, sagte der EKD-Ratsvorsitzende. Ausdrücklich begrüßte er die Initiative Junckers für einen verbindlichen europäischen Verteilungsschlüssel für Flüchtlinge. Er habe Hochachtung vor Junckers Bemühungen, in der Krise eine gemeinsame europäische Linie zu finden. Vorschläge über eine europäische Liste "sicherer Herkunftsländer" sehe er allerdings mit Skepsis, sagte Bedford-Strohm. Nach den Vorstellungen der EU-Kommission sollen Asylanträge von Bürgern solcher Länder im Schnellverfahren bearbeitet werden. Sinnvoller wäre ein "gut geregeltes und auch als Signal sichtbares" Einwanderungsgesetz für Menschen, die auf dem Arbeitsmarkt gebraucht würden, unterstrich Bedford-Strohm. Dies stehe nicht in Widerspruch zu Junckers Politik.
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Video: ekd.de