Zu Beginn des Jahres hat die ARD bereits den zweiten Film mit Jan Fedder ausgestrahlt. Heute wiederholt die ARD die Premiere des Hafenpastors aus dem Jahr 2012, und erneut wünscht man sich, Stefan Book möge eine Spur repräsentativer sein. Wenn Book predigt, gibt es sogar Szenenapplaus.
Allerdings hat er auch eine Klientel, die sich himmelweit von den üblichen Teilnehmern eines Gottesdienstes unterscheidet. Books Besucher gehören gewissermaßen zum Strandgut der Gesellschaft: Er ist Pfarrer in St. Pauli, und wenn er durch die Straßen seiner Gemeinde schlendert, grüßen ihn seine Schäfchen mit größter Ehrerbietung. Spätestens in diesen Szenen verwischen die Grenzen zwischen der Rolle und ihrem Darsteller: Vermutlich genießt das Hamburger Urgestein Jan Fedder in seiner Heimatstadt ähnlichen Respekt wie der Pastor. Beide mussten sich diese Wertschätzung erarbeiten: Fedder in vielen Rollen, allen voran jener des Kommissars aus dem "Großstadtrevier", und der Pfarrer, weil er bereit ist, für seine Schäfchen das letzte Hemd zu geben. Selbst ein Herzinfarkt kann ihn nicht davon abhalten, sich für all jene einzusetzen, die mühselig und beladen sind, ganz gleich, ob es sich um einen 13jährigen Jungen handelt, der freimütig das Gesetz übertritt und das auch nicht lassen kann, als er gerade 14 und somit strafmündig geworden ist; oder um eine junge Afrikanerin, die ihrer Abschiebung zuvorkommt und bei Book um Kirchenasyl ersucht.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Das Gerüst der Handlung ist vergleichsweise sparsam und hätte sich auch als Serienfolge erzählen lassen; ohnehin ist ein Typ wie der Hafenpastor geradezu prädestiniert für weitere Geschichten. Aber das Drehbuch (Stefan Wild) umgibt den Protagonisten mit einer ganzen Reihe von Nebenfiguren, die gleichfalls viel Potenzial mitbringen, und sei es nur, weil sie Kontrapunkte zum Pfarrer bilden: Seine Schwester Rita (Marie-Lou Sellem) ist Polizistin und somit eine natürliche Gegenspielerin, denn Books Schutzbefohlene sind in ihren Augen Täter und nicht Opfer. Den irdischen Genüssen steht Krankenschwester Evelyn (Sabine Orléans) im Weg: Sie soll dem Pastor auf die Finger klopfen, wenn er mal wieder zur Zigarre greift. Auch seine hübsche Tochter Sarah (Marie Seiser) ist ein ständiger Konfliktherd, weil ihr Traum vom Leben ganz anders aussieht als der Weg, den Book für richtig hält. Mit Sabine Sattler (Margarita Broich), die als Vertreterin der Ausländerbehörde eigentlich auch auf der anderen Seite steht, knüpft er allerdings alsbald zarte Bande.
Zentrale Handlungsachse aber ist der Asylantrag von Adoma (Martina Offeh), die ein düsteres Geheimnis hütet und abgeschoben werden soll, obwohl sie perfekt deutsch spricht und ein ausgezeichnetes Abitur gemacht hat. An ihrem Fall entzünden sich Diskussionen ("Das Boot ist voll"), die aus der dank der Figuren und ihrer Darsteller ohnehin interessanten Handlung einen durchaus nachdenklichen und höchst aktuellen Film machen (Regie: Stephan Meyer).