TV-Tipp: "Zum Sterben zu früh" (Arte)

TV-Tipp: "Zum Sterben zu früh" (Arte)
28. August, Arte, 20.15 Uhr
"Unter Feinden" war im vergangenen Jahr ein Polizei-Thriller, wie ihn sich deutsche Fernsehsender nur selten trauen. Die Fortsetzung "Zum Sterben zu früh" setzt sogar noch eins drauf: Die Ermittler führen sich nach wie vor wie Gangster auf, aber diesmal sind selbst die Ganoven moralisch integrer als die Polizisten.

Es gibt hierzulande nicht viele Regisseure, die solche Filme drehen dürfen. Die Atmosphäre ist aggressiv, die Hauptfiguren sind kaputte Antihelden, die Welt ist düster: Das ist des Schlechten fast zuviel; und gerade deshalb exzellenter Filmstoff, wie das US-Kino schon lange und seit einiger Zeit auch das amerikanische Fernsehen immer wieder beweist. Mit "Unter Feinden" hatte "Nachtschicht"-Schöpfer Lars Becker den gleichnamigen Roman von Geord M. Oswald adaptiert, und auch "Zum Sterben zu früh" orientiert sich an Motiven des Buches. Machart und Stimmung aber sind identisch, und erneut begeht Hauptkommissar Kessel (Fritz Karl) aus dem Drogendezernat des Hamburger einen großen Fehler.

Krimi plus Beziehungsdrama

Wie "Unter Feinden", so beginnt auch der zweite Krimi mit Kessel und seinem Partner Diller (Nicholas Ofczarek) mit einer Observierung. Damals endete der Prolog damit, dass Kessel einen Dealer überfuhr. Diesmal wird aus der Überwachung eine packend inszenierte Verfolgungsjagd. Ein Gangster stirbt bei einem Unfall, der andere kann zu Fuß entkommen, und Kessel sichert sich unbemerkt von seinem Kollegen eine Tasche voller Rauschgift. Immerhin handelt er nicht aus Geldgier: Seine Tochter leidet unter Epilepsie, die teure Operation kann sich die Familie nicht leisten, doch das hehre Motiv schützt den Polizisten selbstredend weder vor der Rache der Kokainbesitzer, von denen er "Finderlohn" will, noch vor den internen Ermittlungen; und als sein Partner hängt auch Diller mit drin.

Während "Unter Feinden" beinahe Thriller pur war, ergänzt Becker die Handlung diesmal um eine familiäre Beziehungsebene. Geschickt verlagert er die Action-Spannung der Eingangssequenz auf die Spannungen zwischen dem Ehepaar Kessel, die darin gipfeln, dass Gattin Claire (Jessica Schwarz) eine einstweilige Verfügung erwirkt, nachdem ihr Mann sie geschlagen hat.  Nun darf er das Haus nicht mehr betreten, was zu einer absurden Szene führt, die nur dank Beckers Inszenierung glaubwürdig ist: Ausgerechnet auf der Stadtautobahn lässt Kessel seinen Sohn aussteigen und ein Warndreieck aufstellen, nicht ahnend, dass er den Jungen auf diese Weise dem Dealer (Edin Hasanovic), dem er den Stoff geklaut hat, direkt in die Arme schickt, was den hartgesottenen Gauner mit libanesischen Wurzeln und großem Familiensinn ziemlich empört.

Becker hat ohnehin dafür gesorgt, dass die Schurken mindestens so interessant sind wie die Polizisten, was sich nicht zuletzt in der Besetzung widerspiegelt. Juergen Maurer stattet den Drogenboss mit viel Charisma aus und ist entrüstet darüber, dass der Kommissar die rote Linie zwischen Gut und Böse überschritten hat. Gerade die prominente Besetzung sorgt dafür, dass die Nebenfiguren großes Gewicht bekommen: Anna Loos ersetzt Birgit Minichmayr als Dillers Frau Emma, Martin Brambach spielt den Vorgesetzten der beiden Drogenfahnder, der das Dezernat als große Familie betrachtet, und mit Cornelius Obonya (als Beamter aus der Abteilung für interne Ermittlungen) wirkt neben Karl, Ofczarek und Maurer ein weiterer Österreicher mit. Die "Gegenseite" ist zwar nicht so prominent besetzt, aber auch hier sorgt Becker mit Hilfe vieler Einfälle dafür, dass die Personen nicht bloß Klischeefiguren sind. Es bleibt sogar noch Zeit genug, um mit dem muslimischen Hintergrund und den entsprechenden Vorurteilen zu spielen, denn die Mitglieder der libanesischen Großfamilie sind keineswegs alle kriminell; einer ist sogar Polizist, was prompt dazu führt, dass er dauernd zwischen den Stühlen sitzt.