Selten hat ein Film die globale Erwärmung derart nachdrücklich vor Augen geführt wie "ThuleTuvalu". Der Schweizer Matthias von Gunten hat viel Zeit mit den Menschen im Norden und im Süden verbracht und dokumentiert, welche konkreten Konsequenzen der Klimawandel für sie hat.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Hin und wieder ergänzt eine Schrifteinblendung die Ausführungen der Einheimischen um Hintergrundinformationen, ansonsten gehört der Film voll und ganz den Protagonisten. Ein erklärender Kommentar ist nicht nötig, die Bilder sind beredt genug. Die Einwohner von Tuvalu zeigen, wie das Meer schon jetzt Tag für Tag ihren Lebensraum verkleinert: Wo früher ein Strand war, höhlen die Wellen heute den Grund unter den Palmen aus, die beim nächsten Sturm umknicken wie Streichhölzer. Gemüse können die Menschen kaum noch anbauen, weil das Grundwasser immer salziger wird. Trinkwasser liefert der Regen, aber die Dürreperioden werden immer länger. Erwärmt sich das Erdklima um bloß zwei Grad, wird Tuvalu nicht mehr existieren. Die ersten Insulaner sind bereits nach Neuseeland ausgewandert.
Während die Aufnahmen aus dem Pazifik trotzdem immer noch idyllisch anmuten, sind die Szenen aus Thule, dem nördlichsten bewohnten Ort der Erde, weniger schön, weil zum Alltag der dortigen Inuit auch die Jagd auf Robben und das Töten von Walen gehört. Tiere, die hierzulande Beschützerreflexe hervorrufen, stehen dort in erster Linie für Nahrung und Kleidung; ein Narwal ernäht eine Familie zwei Wochen lang.
Dokumentierte Klimawandelkonsequenzen
Im hohen Norden sind die dokumentierten Klimawandelkonsequenzen nicht so deutlich sichtbar wie im Süden. Hier müssen deshalb die Erzählungen der Menschen genügen: Früher, erfährt man, sei das Meer schon im Herbst zugefroren; heute müsse man bis Januar warten, um Verwandte und Freunde auf der anderen Seite des Fjords besuchen zu können. Selbst im Juli habe es noch vor nicht allzu langer Zeit zwei Tagesreisen mit dem Hundeschlitten gedauert, bis man die Eiskante erreichte; heute sei das an einem Tag zu schaffen.
Von Gunten hat das Tempo und den Rhythmus seines Films, der regelmäßig zwischen Thule und Tuvalu hin und her wechselt, den Lebensumständen angepasst. Die Menschen kommen in langen Einstellungen ausführlich zu Wort, um über ihre Ängste und Hoffnungen zu sprechen. Die meisten denken dabei dennoch nicht an sich, sondern vor allem an ihre Kinder. Zumindest der Thule-Teil endet hoffnungsvoll: Im Fjord gibt es jetzt große Mengen Heilbutt. Die Menschen hier waren Jäger, seit es die Welt gibt; nun werden sie Fischer.