Daher ist "Fischerkrieg" ein irreführender Titel, denn die Auseinandersetzungen zwischen deutschen und polnischen Fischern bilden in Florian Oellers Drehbuch nur den Auftakt einer Kette von Ereignissen, die erst Bukow und dann Katrin König (Anneke Kim Sarnau) erschüttern. Ohnehin macht die ständige Verschiebung des narrativen Epizentrums die besondere Qualität des Films aus. Der Inszenierung ist zudem nicht einen Moment anzumerken, wie unerfahren Alexander Dierbach im Grunde noch ist; das im Frühjahr 2012 ausgestrahlte Drama „Uns trennt das Leben“ (über einen kleinen Jungen, der versehentlich zum Mörder wird; ebenfalls mit Sarnau) war sein Regiedebüt; Premiere dieses „Polizeirufs“ war im Januar 2013.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Der Film beginnt mit dem Tod eines Fischers. Zunächst deutet alles darauf hin, dass sich die polnische Konkurrenz für deutsche Sabotageakte gerächt hat, doch dann führt die Spur geradewegs zu einem Mann, der in der Halbwelt Rostocks eine große Rolle spielt, dem aber nie etwas nachgewiesen werden konnte: Veit Bukow (Klaus Manchen), Vater des Kommissars. Schon allein dieses Dilemma ist so reizvoll, dass es anderen Autoren genügt hätte. Oeller aber treibt den Konflikt auf die Spitze: Dem von Bukow regelmäßig schikanierten Kollegen Pöschel kommt die Gelegenheit gerade recht, um sich zu revanchieren, und auch Pöschel-Darsteller Andreas Guenther nutzt die Chance für einige ausgesprochen markante Soloszenen. Allerdings ist die Kette der Indizien gegen Bukow senior viel zu perfekt, um wahr zu sein, zumal König mit Hilfe einer Enthüllungsjournalistin (Inga Busch) auf ein Thema stößt, das ihre eigene Persönlichkeit zutiefst erschüttert. Der alte Bukow ist zwar auch in illegalen Fischhandel verwickelt, doch viel entscheidender für die Handlung ist sein jahrzehntelanges Wirken als Menschenschmuggler: heute für Männer und Frauen aus dem Irak, früher für "Republikflüchtlinge". Und die LKA-Kommissarin, ihrer Wurzeln ohnehin nicht sicher, findet endlich die Erklärung für einen immer wieder kehrenden Traum, der sie als kleines Kind am Meeresufer zeigt.
Auch wenn Katrin König nun stärker in den Fokus rückt, wovon naturgemäß auch Anneke Kim Sarnau profitiert: Motor auch dieses Films ist Charly Hübner, der hier noch stärker physisch präsent ist als in den bisherigen Episoden; und das nicht nur wegen seiner Länge von über 1,90 Meter, mit der sich Bukow bei den hartgesottenen Fischern Respekt verschafft. Gleichzeitig gelingt es Hübner, den knallharten Kommissar immer wieder auch verletzlich wirken zu lassen. Die Auflösung des eigentlichen Falls ist gemessen an den persönlichen Verwicklungen der beiden Ermittler zwar vergleichsweise unspektakulär, aber das ändert nichts daran, dass auch dieser "Polizeiruf" aus Rostock ausgesprochen sehenswert ist.