Hinter den beherrschten Fassaden der Figuren sieht das jedoch ganz anders aus, aber dieses emotionale Geschehen spielt sich nicht auf der Leinwand, sondern im Kopf des Zuschauers ab. Voraussetzung dafür, dass das auch funktioniert, sind erstklassige Leistungen der Darsteller, die nur möglich sind, weil die Beteiligten ihr Zusammenspiel im Rahmen von Proben intensiviert haben. Das klingt selbstverständlich, ist es in Zeiten immer knapperer Budgets aber schon lange nicht mehr. Der Schlüssel zur Perfektion liegt im eingespielten Ensemble hinter der Kamera: Petzold kann sich blind auf sein Team verlassen, weil er mit Bildgestalter Hans Fromm, Ausstatter K.D. Gruber oder Kostümbildnerin Anette Guther seit fast zwanzig Jahren zusammenarbeitet.
Unprätentiöses Spiel
Und dann ist da ja noch Nina Hoss, in "Barbara" zum fünften Mal Petzolds Hauptdarstellerin. Ihr unprätentiöses Spiel passt optimal zum Stil des Regisseurs und macht auch diesen Film zum Ereignis. Im Grunde erzählt das in der DDR des Jahres 1980 angesiedelte Drama eine einfache Geschichte: Die Ostberliner Ärztin Barbara ist nach einem Ausreiseantrag in ein Provinzkrankenhaus verbannt worden. Dort trifft sie unvermutet auf den engagierten, fachlich höchst kompetenten und überdies nicht nur attraktiven, sondern auch ziemlich sympathischen Kollegen Andre (Ronald Zehrfeld). Dennoch bleibt sie distanziert, und das liegt nicht nur daran, dass ihr westdeutscher Freund Jörg (Mark Waschke) längst ihre Flucht vorbereitet hat. Selbst wenn sich zum Respekt vor Andre bald auch eine gewisse Zuneigung gesellt, bleibt doch die Frage, ob der Arzt nicht als Spitzel auf sie angesetzt ist.
Der chronologisch gedrehte Film (auch das längst die Ausnahme) schildert mehr spür- als sichtbar, wie sich Barbara und Andre immer näher kommen, obwohl sie äußerlich Distanz wahren; die Annäherung offenbart sich vor allem durch Details. Die Schikanen durch die Staatssicherheit inszeniert Petzold weniger subtil, aber nicht minder zeichenhaft. Mehrfach und selbstredend unangekündigt steht der örtliche Stasi-Offizier (Rainer Bock) vor der Tür. Bei der Leibesvisitation durch eine Beamtin wird Barbara als erstes angeherrscht, ihren Haarknoten zu öffnen. Der Dutt ist ebenso wie die vor der Brust verschränkten Arme ein deutliches Signal an die Umwelt. Und doch gewährt Petzold selbst den verhassten Schergen des Regimes menschliche Momente: Die Frau des Offiziers ist todkrank. Aber die Patienten spielen für die Beziehung zwischen Barbara und Andre und den Ausgang der Geschichte ohnehin eine entscheidende Rolle.
Diktum der Zurückhaltung
Einen nicht zu unterschätzenden Anteil an der Wirkung der Bilder hat auch das Szenenbild, und zwar nicht obwohl, sondern gerade weil Petzold auch in dieser Hinsicht seinem bedingungslos Diktum der Zurückhaltung folgt. Einmal fährt eine alte Straßenbahn durchs Bild. Andere Regisseure hätten dieses Requisit, das sicher nicht leicht aufzutreiben war, entsprechend in Szene gesetzt; Petzold zeigt sie bloß zwei Sekunden lang. Bis auf ein verblasstes Schild ("Mit Optimismus sehen wir in die Zukunft.") gibt es auch keinerlei jener für DDR-Filme so typischen Insignien.
Und während Barbaras heruntergekommene, sparsam möblierte Unterkunft Szenenbildner Gruber kaum vor größere Herausforderungen gestellt haben dürfte, bietet Andres Wohnung ein ganzes Sammelsurium an Fundstücken, die aber ebenfalls nie ausgestellt wirken. Wenn Petzold ein Detail dann doch hervorhebt, hat das selbstredend seine Gründe: Als sich Barbara mit Jörg im Interhotel trifft, blättert die Geliebte seines Freundes begeistert im Quelle-Katalog des Jahres 1980. Die Ärztin dagegen bleibt eher kühl; und das nicht nur, weil dies nun mal ihre Art ist. Um 22.25 Uhr zeigt 3sat Petzolds Film "Jerichow".