Pfingsten, das unbekannte Wunder

Pfingstwunder
Foto: epd-bild/Cornelia Gierth
Die Taube als Symbol für den Heiligen Geist, von dem die Jünger nach dem Pfingstwunder erfüllt sind, ist in Darstellungen weit verbreitet - auch wenn sie in der Pfingstgeschichte selbst gar nicht vorkommt.
Pfingsten, das unbekannte Wunder
Was feiert man eigentlich Pfingsten? Die biblische Geschichte vom Pfingstwunder ist für viele schwer zu fassen: Der Heilige Geist kommt zu den Menschen. Pfingsten erinnert an den großen Traum vom Miteinander aller Christen.

"Was ist an Pfingsten passiert?", fragen Konfirmanden in der Fußgängerzone und erhalten nur von ganz wenigen Passanten erhellende Antworten. "Da ist Ostern rum", meint einer - und es stimmt: Im Kirchenkalender endet mit Pfingsten offiziell die 50-tägige Osterzeit. Aber sonst? Die Straßenumfrage, die Wiesbadener Konfirmanden auf Youtube gestellt haben, bestätigt: Mit dem dritten christlichen Hauptfest nach Weihnachten und Ostern können viele nichts anfangen. Eine Emnid-Umfrage ergab schon 2009: Nur etwa die Hälfte der Deutschen kennt die Bedeutung des Pfingstfestes.

Dabei ist der Anlass für die zwei Feiertage im Kalender mit einer biblischen Geschichte verbunden, die sogar vom bedeutenden Regisseur Roberto Rossellini in seiner "Geschichte der Apostel" verfilmt wurde: Am jüdischen Wochenfest Schawout treffen sich die Anhänger Jesu in einem Haus in Jerusalem. Ihr Meister wurde gekreuzigt, doch einige haben den aus dem Grab Auferstandenen vor 50 Tagen zu Ostern lebendig gesehen. Später ist er vor ihren Augen in den Himmel aufgefahren. Jetzt sind die Jünger allein zurückgeblieben.

Und dann setzt plötzlich ein Brausen vom Himmel ein, gewaltiger Wind erfüllt das Haus. Feuerzungen setzen sich auf ihre Häupter, sie sind erfüllt vom Heiligen Geist, reden "in Zungen". Menschen aus unterschiedlichen Nationen hören sie in ihrer jeweiligen Muttersprache predigen. Die Zuhörer sind entsetzt und ratlos: Wie kann das sein, dass sie diese Provinzler verstehen, die von den Wundern ihres Gottes berichten? Andere bleiben skeptisch und spotten: "Sie sind voll von süßem Wein."

Feuer und Flamme für den Glauben

Für den Verfasser der Apostelgeschichte ist wichtig: Die Geschichte von Jesus Christus, wie sie die Evangelisten berichten, ist nicht zu Ende. Es geht weiter mit seinen Anhängern, den Christen: Pfingsten wird zum Geburtstag der Kirche. Denn hier tritt die christliche Gemeinde zum ersten Mal öffentlich auf - noch dazu in ausgesprochen spektakulärer Art und Weise. Die bis dahin verzagten Protagonisten des Christentums erweisen sich plötzlich als sprachmächtig und missionarisch überzeugend. Petrus rief der Überlieferung zufolge die Menschen auf, sich auf den Namen Jesu Christi taufen zu lassen. Ihm folgten laut Pfingsterzählung an dem Tag rund 3.000 Menschen.

Es wird noch einige Jahrhunderte dauern, bis die neue Religion weite Teile der Welt erobert. Aber Pfingsten mit der Ausgießung des Heiligen Geistes markiert den Anfang dieser Bewegung. Es ist mit Händen zu greifen: Die Menschen sind im wahrsten Sinne Feuer und Flamme für ihren Glauben, die christliche Urgemeinde gründet sich: "Alle, die zum Glauben gekommen waren, bildeten eine enge Gemeinschaft und taten ihren ganzen Besitz zusammen", übersetzt der Theologe Jörg Zink den Schluss der Pfingstgeschichte.

Dass das spektakuläre Pfingstwunder nicht so geläufig ist, mag an der flüchtigen Gestalt des Heiligen Geistes liegen, der sich in der biblischen Geschichte in Wind und Feuer materialisiert. Lediglich die Taube als Symbol für den Heiligen Geist ist in Darstellungen weit verbreitet - auch wenn sie in der Pfingstgeschichte selbst gar nicht vorkommt.

Die "alte Dame" Kirche und ihre Geburtsurkunde

Theologisch betrachtet ist Pfingsten für die Kirche jedoch ein existenziell wichtiges Fest. Der Theologe Fulbert Steffensky (Luzern) nennt den Pfingsttext aus der Apostelgeschichte in einer preisgekrönten Predigt "die Geburtsurkunde der Kirche", die "von einer alten und lange vergangenen Schönheit" zeuge.

Steffensky stellt sich die Kirche als "alte Dame" vor, die erstaunt in ihrer Geburtsurkunde liest und die revolutionären Anfänge der Christenheit wiederentdeckt: "So also war ich gemeint, denkt die alte Dame Kirche. Das war der Anfang und der große Traum: Jeder sollte die Sprache des anderen verstehen; jeder sollte Gesichter haben und der Wahrheit näher sein, nicht nur die Profis oben; alle sollten miteinander das Gebet, das Brot und das Geld teilen."

An den revolutionären Geist von Pfingsten erinnert der katholische Pastoraltheologe Jörg Seip (Bonn), der in einer Betrachtung von 2004 starre amtskirchliche Strukturen aufs Korn nimmt: "Pfingsten ist das gefährlichste Fest. Pfingsten hat die Kirche nicht gegründet, sondern aufgehoben. Pfingsten war nie Fundament der Kirche. Pfingsten ist ihr Sprengsatz".

Mit Pfingsten ist vielerorts auch eine ökumenische Tradition verbunden. In gemeinsamen Gottesdiensten oder Andachten erinnern Protestanten und Katholiken daran, dass beim ersten Pfingsten Menschen aus unterschiedlichen Lagern durch Gottes Geist zu einer Einheit zusammengeschweißt wurden. Margot Käßmann, Reformationsbotschafterin der Evangelischen Kirche in Deutschland, beschrieb das einmal so: "Pfingsten ist nicht der Geburtstag der Reformierten, der Lutheraner, der Katholiken oder der Baptisten, sondern der Geburtstag der Kirche".

Dieser Artikel wurde erstmals am 24. Mai 2015 auf evangelisch.de veröffentlicht.