Natürlich ist Krebs nicht witzig. Aber wenn die Krankheit schon als Filmstoff dient, dann doch lieber im Stil von Werken wie "Knockin’ on Heaven’s Door", "Marias letzte Reise", "Ein starker Abgang" oder "Und weg bist Du", die dem unausweichlichen Tod seinen Stachel nehmen. "Letzte Ausfahrt Sauerland" gehört auch in diese Reihe herausragend geschriebener und großartig gespielter Tragikomödien.
Freundschaftsfilm und Roadmovie
Nikolai Müllerschön erzählt die Geschichte vom starken Abgang eines alten Misanthropen als Freundschaftsfilm und Roadmovie: Seit vielen Jahren fristen zwei alte Aussteiger ihr Dasein als Tretbootverleiher am sauerländischen Möhnesee. Horst (Heiner Lauterbach) ist ein verbitterter Misanthrop, der sich nach dem nie verkrafteten Tod seiner Frau in sich selbst zurückgezogen hat; zu seiner Tochter Lisa hat er schon lange keinen richtigen Kontakt mehr, seinen 17jährigen Enkel Elyas kennt er kaum. Der einzige Mensch, der seine schlechte Laune aushält, ist Johann (Friedrich von Thun), der das Leben im Gegensatz zu seinem Freund in vollen Zügen genießt. Ausgerechnet an Horsts Geburtstag gelingt es Lisa (Annika Kuhl), ihren Vater unter einem Vorwand in die Frankfurter Uniklinik zu locken, damit er dort seinen chronischen Husten untersuchen lässt. Es stellt sich raus, dass Horst unheilbar krank ist und nicht mehr lange zu leben hat.
Das ist selbstredend purer Dramastoff, aber das Drehbuch (Mathias Lösel, Markus Altmeyer) und das wie aus einem Til-Schweiger-Film stammende Sommerlicht (Kamera: Klaus Merkel) ersticken jeden Anflug von Sentimentalität oder Pathos im Keim. Dafür sorgt schon allein Horst, den Lauterbach als Inbegriff von Grimmigkeit verkörpert. Außerdem gewinnt der Film wirklich jeder Szene eine Pointe ab, ohne dabei je bemüht komisch zu wirken; ohnehin ist die scheinbare Unangestrengtheit, mit der Müllerschön die Geschichte umgesetzt hat, ein ganz großes Qualitätsmerkmal. Als enorm fruchtbar für die Handlung erweist sich zudem die Drehbuchidee, aus dem "Odd Couple" à la Jack Lemmon und Walter Matthau ("Ein seltsames Paar") ein Trio zu machen: Im Krankenhaus hat Horst eine SOS-SMS an Johann geschrieben. Der schnappt sich eine Schrotflinte und macht sich umgehend mit seinem Moped auf den Weg. Horst hat aber keine Lust auf Moped, also klauen sie einen Leichenwagen und nehmen Elyas (Emilio Moutaoukkil) kurzerhand mit.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Durch die personelle Ergänzung wandelt sich fast unmerklich auch der Tonfall des Films. Johann tritt ein Stück zurück und überlässt die Bühne Opa und Enkel, die nun eine Annäherung im Diskurs vollziehen: Jeder Wortwechsel ist eine Auseinandersetzung, aber auf diese Weise stellt sich Horst endlich der Vergangenheit. Die entsprechenden Dialoge sind ein Genuss, und doch funktioniert die Konstellation nur, weil der nun meist schweigende Johann die aufgeladene Atmosphäre immer wieder mit einem Spruch entspannt. Lauterbach, der auch schon in Müllerschöns Gangsterfilm "Harms" ausgezeichnet war, ist selbstredend die zentrale Figur, zumal er wunderbar nachvollziehbar andeutet, wie Horsts Dasein einst durch den Tod seiner Frau entzwei gerissen wurde, aber ohne Friedrich von Thun wäre der Film nur halb so gut; auch der junge Emilio Moutaoukkil ist ganz fabelhaft.
Natürlich setzt bereits die Auswahl des Gefährts ein Zeichen, aber Horst macht aus dem Leichenwagen kurzerhand ein Cabrio; Sarg und Deckel dienen ihm und Johann als Schlafkoje. Trotzdem behält das Auto seine Funktion als Menetekel. So entspannt es auch wirkt, wenn sich die beiden Alten, genüsslich einen Joint rauchend, von Elyas durch die Gegend kutschieren lassen: Der Sensenmann fährt mit; und sei es als kleine Figur, die am Rückspiegel baumelt.