49-24-14. Diese Zahlenkombination ist kein Schlüssel zu einem Safe, der darauf wartet, geknackt zu werden. Es ist nicht einmal sicher, ob die Zahlen der Kombination überhaupt stimmen. Aber sie symbolisieren ein kaum bekanntes Geheimnis der Nachkriegsgeschichte der Kirchen im geteilten, später geeinten Deutschland. Die verborgenen Spuren und Zeugnisse reichen bis in die USA. Sie stehen für die Haltung von Menschen diesseits und jenseits des Atlantiks, die nach dem Zweiten Weltkrieg Zeichen setzten gegen Unfreiheit und Unterdrückung. Heute stehen die Zahlen – sechs Jahrzehnte später – für das Engagement einiger Aktiver, die sich für den Erhalt von Kirchen als Zeichen des Friedens und der Erneuerung kirchlichen Lebens in Gemeinden engagieren.
Die Geschichte von 49 Plänen, 24 Bauten und 14 Funden kann mit Verweis auf viele Orten und ebenso viele Jahresdaten erzählt werden. Eines davon ist der 16. Oktober 1955. An jenem Sonntag findet im Wildenheid bei Coburg die Weihe der evangelischen Friedenskirche statt. Der Ort ist damals durch seine Lage an der innerdeutschen Grenze geprägt. In den Grundstein der Kirche werden eine Bibel, ein Gesangbuch und ein Katechismus eingelegt, sicherlich nichts Ungewöhnliches. Ungewöhnlich dagegen ist die Flagge der USA, die vor der Kirche gehisst wird. Eine Urkunde von jenem Tage gibt Aufschluss: Das Gotteshaus ist die erste Kirche in Oberfranken, die aus Mitteln des Projekts "Wooden Church Crusade" (Kreuzzug mit Holzkirchen) finanziert wird.
Unter dieser martialischen Devise, dem damaligen Zeitgeist zuzuschreiben, baut seit 1950 eine amerikanische, überwiegend von Christen getragene Organisation 49 einfachen Kirchen und Gotteshäuser in der Bundesrepublik entlang der innerdeutschen Grenze - als ideellen "Schutzwall gegen den Kommunismus". 48 Kirchen sollen jeweils einen der damaligen US-Bundesstaaten repräsentieren, eine weitere steht für die Hauptstadt Washington. "Die Aktion wollte damit", berichtet Patricia Goldbach-Keim, "in Deutschland und West-Berlin Flagge gegen den menschenverachtenden und trennenden Eisernen Vorhang zeigen." Das sei als sichtbarer Ausdruck dafür gedacht gewesen, "dass Menschen frei zusammenkommen und ihren Glauben leben können".
Auf der Suche nach den untergegangenen Kirchen
Goldbach-Keim arbeitet im Fundraisingbüro des Evangelisch-Lutherischen Dekanats Coburg. Ihr ambitioniertes Projekt: das Werben um Unterstützung und Spenden für den Umbau der Friedenskirche Wildenheid. Er ist mit Kosten von rund einer Million Euro veranschlagt. Dies könne nur, heißt es im Gemeinde-Flyer, durch eine gesicherte Finanzierung auf einem breiten Fundament erfolgen: "Viele Partner helfen uns dabei, wir sind aber trotzdem noch auf Spenden und Mithilfe angewiesen." Das Modell heute ähnelt dem Finanzierungsmodus von damals. Ziel der Organisation in den USA war es, Spendengelder zu sammeln. Im Regelfall sollte jeder Kirchbau mit 25.000 Dollar gefördert werden, zu jener Zeit ein Betrag über 100.000 DM. Das war zumeist ein ausreichendes Finanzpolster, allerdings stellten die Kirchenbauer damals aus Kostengründen vom geplanten Holz auf die in Deutschland preiswertere Steinbauweise um.
Mit dem Engagement für ihren Teil der steinernen "Wooden Church Crusade"-Kette kam für Patricia Goldbach-Keim auch das Interesse für die Ursprünge und die noch aufspürbaren Zeugnisse der Aktion von damals. Mehr als sechs Jahrzehnte nach der Ausrufung des christlichen Bollwerks sind wesentliche Fragen unbeantwortet und weite Gebiete der Aktion noch unerforscht. Nicht einmal die Zahl der errichteten Kirchbauten ist gesichert. Insgesamt sollen 24 der 49 ursprünglich geplanten Gotteshäuser vollendet worden sein. Eine verlässliche Karte existiert nicht. Bei ihren Internet-Recherchen, bilanziert die Fundraising-Referentin, sei sie auf 14 solcher "Wooden Churches" gestoßen. Derzeit laufe eine Recherche im Kirchlichen Archivzentrum Berlin, um die restlichen zehn zu finden. Prognose? Keine. Vielleicht muss die Zahlenkombination später einmal geändert werden.
Weitgehend gesichert ist die Gründungsgeschichte der Aktion. Der Initialfunke stammt wohl von dem deutschen Diplomaten Baron Henning von Royk-Lewinski, der nach 1945 in die USA ging. Als Präsident fungierte der Mühlenbesitzer Richard A. Kinzer, Burlington, Wisconsin. Wesentliche Schubkraft entfachte der als konservativ beschriebene US-Radiokommentator Fulton Lewis. Goldbach-Keim berichtet: "Sein Satz 'Send in your dollars for the wooden chruch crusade' am Ende seiner Sendung macht die Aktion erst populär." Auf dem Höhepunkt seiner Karriere sollen die "News Programmes" von Lewis über 500 Radiosender verbreitet worden sein und ein Publikum von sechzehn Millionen Hörern gehabt haben.
Das Läuten der Glocke als Perspektive der Freiheit
Mit dem Läuten der Glocken der Friedenskirche sollte damals den Menschen jenseits der Grenze im Osten eine Perspektive der Freiheit sowie ein Signal der Gemeinsamkeit vermittelt werden. Heute, eine Generation nach der deutschen Wiedervereinigung, will die Gemeinde Wildenheid mit dem Umbau ihrer Kirche ein Zeugnis deutsch-deutscher Geschichte bewahren. Zudem verfolgt sie das Ziel, "den Friedensgedanken wieder in den Mittelpunkt unseres Denkens zu stellen". Außerdem sollen Kirche und Gemeindesaal "als Haus für alle Generationen attraktiv und gut nutzbar gemacht werden". Dafür ist ein umfangreicher Katalog von Vorgaben erarbeitet worden, der von einem neuen liturgischen Konzept im Kirchenraum über die Erneuerung des Dachs und der Eingangsbereiche bis zur Erweiterung des Gemeindesaals reicht.
Mit der Umsetzung des Konzepts ist der Bamberger Architekt Christoph Gatz beauftragt. "Wir beabsichtigen nicht, alles auf den Kopf zu stellen", beschreibt er seine Ideen. Die historische Anmutung soll mit in die Zukunft genommen werden, so auch ein Ort der Erinnerungskultur entstehen." Als besonders reizvoll empfinde er die Aufgabe, den "so klar vorfixierten Kirchenraum an geänderte liturgische Vorstellungen anzupassen, eine offene Mitte für Begegnungen von Besuchern zu schaffen". So sollen fortan Taufstein, Altarkreuz und Kanzel in einer Reihe angeordnet sein, die Besucher sollen mit einer Kopfdrehung direkt den Pfarrer sehen können. Entscheidend für den Gesamteindruck sei die neu geplante Lichtführung, wofür in die Dachfläche Öffnungen eingeschnitten würden, erklärt der Architekt. Es ist eine Abweichung von früher: "Damals wollte man den Kirchenraum düster. Es brannte immer künstliches Licht. Heute möchte man einen Raum der Helligkeit, in den das Sonnenlicht einfallen kann."
Wann mit dem Umbau begonnen wird, ist noch offen. Die Gemeinde in Wildenheid sucht außerdem Ansprechpartner, die in Verbindung mit den Protagonisten von 1950 oder ihren Nachfahren stehen. Sollte die Suche Erfolg haben, könnten bei der Weihe der erneuerten Friedenskirche Repräsentanten von US-Gemeinden teilnehmen. Und auch die US-Flagge könnte für diesen einen Tag wieder vor der Kirche wehen.