Für Kinder sind die Abenteuer der beiden kurdischen Brüder eine mal spannende, mal heitere Heldenreise, aber ihre ganze Qualität entfaltet die Tragikomödie des in Schweden lebenden Exil-Irakers Karzan Kader erst, wenn man auch um die historischen Hintergründe weiß.
Die Geschichte spielt 1990 im kurdischen Teil des Irak. Es herrscht Krieg, die Schergen Saddam Husseins haben Zanas und Danas Eltern ermordet, aber der Alltag der sechs und zehn Jahre alten Jungs ist von ganz anderen Sorgen geprägt: Sie leben auf der Straße und schlagen sich mehr schlecht als recht als Schuhputzer durch. Als sie eines Tages durch das Oberlicht eines Kinos den Film "Superman" sehen, schmieden sie einen Plan: Sie wollen nach Amerika. Weit weg kann es nicht sein, auf Danas Weltkarte sind es nur ein paar Finger breit.
Film ist die reinste Achterbahnfahrt
Unbekümmert machen sich die beiden auf den Weg, unbekümmert erzählt Kader ihre Geschichte: als episodische Aneinanderreihung von großen und kleinen Siegen und Niederlagen. Der Film ist die reinste Achterbahnfahrt, zumal die Brüder mehrfach in Lebensgefahr schweben, selbst wenn ihnen das nicht immer klar ist. Ein ähnliches Wechselbad stellt auch ihre Beziehung dar: Ständig fängt sich Zana Ohrfeigen seines Bruders ein. Es wird ohnehin ziemlich viel geschlagen in diesem Film, denn auch die Erwachsenen reagieren umgehend brachial, wenn ihnen der Frechdachs auf der Nase rumtanzt. Andererseits finden sich immer wieder Menschen, die die Jungs selbstlos unterstützen.
Noch sympathischer als die Bruderliebe, die Kader einigen Belastungsproben aussetzt, ist der universelle Humor des Films. Obwohl der Westen viel weiter weg ist, als die beiden ahnen, entstehen gerade durch den Zusammenprall zwischen Orient und Okzident die komischsten Momente. Den Esel zum Beispiel, der sie nach Amerika bringen soll, hat Zana "Michael Jackson" getauft, was zu einem ausgesprochen lustigen Wortwechsel mit einem alten Mann führt, der noch nie von dem Sänger gehört hat. Dana wiederum will bloß deshalb nach Amerika, weil dies das Fluchtziel der hübschen Helliya und ihrer Eltern ist. Da die Welt auch in Kurdistan nur ein Dorf ist, laufen die handelnden Personen zudem einander ständig über den Weg.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Mitunter ist der Film für Kinder im Grundschulalter womöglich zu packend, etwa in der Szene, als sich Zana unter einen Laster hängt, weil das die einzige Möglichkeit ist, einen Militärposten zu passieren; oder als ein Soldat mit dem Bajonett auf die Säcke einsticht, in denen die Brüder über die Grenze geschmuggelt werden. Nicht minder emotional sind die Momente, in denen sie getrennt werden. Den Höhepunkt aber hat sich Kader, der als Kind mit seiner Familie aus Kurdistan geflohen ist, für den Schluss aufgehoben: Als Dana auf eine Mine tritt, scheint die Reise zu Ende zu sein.
Dank seiner vordergründig kindlichen Unbeschwertheit ist "Bekas" (kurdisch für Waise) ein klassisch erzählter, von wunderbar stimmiger Musik untermalter Kinderfilm, der seine beiden Helden buchstäblich auf Augenhöhe begleitet. Kader hat die Geschichte konsequent authentisch umgesetzt, was Schauplätze und Kostüme angeht; dank des Verzichts auf visuelle Effekte ist der ausgezeichnet synchronisierte Film fast schon naturalistisch. Eine märchenhaft schöne Tragikomödie für die ganze Familie.