Gut vier Monate nach seiner TV-Premiere darf das gemischte Bodensee-Doppel schon wieder ran. Der Film "Die Toten vom Bodensee – Familiengeheimnis" ist erst im Herbst gedreht worden, die Ausstrahlung erfolgt also ungewöhnlich schnell. Das hat den Vorteil, dass die Erinnerung an den ersten Fall noch frisch ist. Weil die Zusammenarbeit zwischen Hanna Zeiler und Micha Oberländer (Nora von Waldstätten, Matthias Koeberlin) so gut funktioniert hat, bilden die beiden nun eine eigene Einrichtung zur gemeinsamen deutsch-österreichischen Kriminalitätsbekämpfung; ihr Ermittlungsgebiet sind grenzübergreifende Delikte.
Grausiger Mord
Der erste Fall für die neue Behörde ist besonders grausig. Die entsprechenden Bilder könnten zur Folge haben, dass zartbesaitete Zuschauer erst mal die Flucht ergreifen: Ein mit Tollwut infizierter Mann ist in seiner Raserei mit der Axt auf einen früheren Freund losgegangen. Mitten in dem durch das Kampfgetümmel angerichtete Chaos finden die Ermittler einen abgehackten Arm; kurz drauf wird im Wald auch sein am Blutverlust verstorbener Besitzer gefunden. Da der Mörder später an Tollwut stirbt, scheint der Fall klar, sieht man davon ab, dass der Überträger des Virus’, der Hund der Familie, verschwunden ist; aber irgendwas macht Zeiler und Oberländer stutzig. Außerdem kennt Oberländer den Täter: Er ist der Vater eines zwischenzeitlich an Krebs gestorbenen Schulfreundes, dessen Schwester Verena (Maria Simon) einst seine erste große Liebe war. Die Frau kehrt eilends samt ihrer Mutter (Therese Affolter) von einer Kreuzfahrt zurück.
Nicht nur vor, auch hinter der Kamera ist das Team das gleiche geblieben, sieht man davon ab, dass Autor Thorsten Wettcke Verstärkung durch Christoph Silber bekommen hat; die beiden haben bereits eine Vielzahl von Krimis zusammen geschrieben. Die Regie besorgte wieder Andreas Linke, die für die Atmosphäre so wichtigen Bodenseebilder stammen erneut von Kameramann Jo Molitoris, der mit seiner Bildgestaltung ohnehin großen Anteil an der fesselnden Wirkung des Films hat.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Noch entscheidender ist jedoch das Zusammenspiel von Matthias Koeberlin und Nora von Waldstätten sowie die emotionalen Fallstricke, die sich das Autorenduo gerade für Oberländer ausgedacht hat. Der deutsche Kommissar sieht sich plötzlich von drei starken Frauen umzingelt, und das Wiedersehen mit der Jugendliebe bringt ihn ziemlich durcheinander. Dass er seiner Frau (Inez Bjørg David) nicht die Wahrheit über ein abendliche Treffen mit Verena sagt, hat zur Folge, dass der Haussegen gründlich schief hängt; und seine Kollegin ist ihm ohnehin ein Rätsel.
Während Matthias Koeberlin quasi den Mann von Nebenan verkörpert, schlüpft Nora von Waldstätten auch diesmal wieder vortrefflich in die Rolle der Sphinx. Das minimalistische Spiel der Österreicherin lässt die Kommissarin als völlig undurchdringliches Wesen erscheinen; die schwarze Kleidung verleiht ihr zudem eine düstere Aura. Erst in der allerletzten Einstellung, als Zeiler und Oberländer entspannt in den Sonnenuntergang blicken, zeigt sie die Andeutung eines Lächelns. Bis es soweit ist, muss das Ermittler-Team allerdings noch einige Herausforderungen meistern: Im Hintergrund der Geschichte schwelt ein Giftmüllskandal, und als der deutsche Kommissar entdeckt, dass er einen fast perfekten Mord gelöst hat, gerät er selbst in Lebensgefahr. Ein sehenswerter, hervorragend gespielter Krimi, in dem allein das Tatmotiv etwas zu kurz kommt. Im Herbst wird das ZDF einen weiteren Fall mit dem gegensätzlichen Duo drehen lassen.