Alt werden, weiß man nicht erst seit dem gleichnamigen Buch des verstorbenen Joachim "Blacky" Fuchsberger, ist nichts für Feiglinge. Das Quintett, das sich zwecks gemeinsamen Lebensabends als Senioren-WG zusammentut, ist allerdings weit davon entfernt, sich alt zu fühlen: Philip (Walter Sittler), Ricarda (Charlotte Schwab), Harry (Paul Faßnacht), Eckart (Hans-Uwe Bauer) und Uschi (Marie Gruber) sind Anfang sechzig und jeweils alleinstehend. Die einen sind schon in Rente, die anderen blicken auf ein bewegtes Leben zurück. Das berufliche Spektrum reicht vom Arzt, der sich in Afrika für Aids-Kranke engagiert hat, bis zur Wurstverkäuferin. Eins aber ist allen gemeinsam: Sie haben keine Lust, allein zu leben; also tun sie sich zusammen und gründen eine Senioren-WG. Obwohl die fünf völlig unterschiedliche Charaktere sind, klappt das Zusammenleben prima – bis Uschi einen Schlaganfall hat. Demokratisch einigen sich die vier anderen darauf, sich um ihre Pflege zu kümmern; eine Aufgabe, an der die Gemeinschaft fast zerbricht.
Engagement ohne Eigennutz
Der Reiz dieser ungewöhnlichen Geschichte besteht natürlich in der Herausforderung für das Quartett, Engagement ohne Eigennutz zu beweisen. Gerade der handfeste Taxifahrer Harry, von Faßnacht als Althippie mit kernigen Ansichten verkörpert, erweist sich als Bruder Leichtfuß der WG, was zu teilweise haarsträubenden Situationen führt. In dieser Hinsicht beschönigt der Film nichts, zumal Marie Gruber die erheblichen Beeinträchtigungen der an den Rollstuhl gefesselten Uschi sehr mutig und konsequent verkörpert. Auf diese Weise lässt sich gut nachvollziehen, wie entwürdigend es für die halbseitig gelähmte Frau sein muss, selbst bei der Körperhygiene von ihren Mitbewohnern abhängig zu sein; ganz zu schweigen von Momenten wie jenen, als Uschi sich selbst überlassen bleibt, weil sogar der zuverlässige Eckart seine Pflichten vernachlässigt und sie beinahe die Wohnung in Brand setzt. Gerade angesichts der vielen berührenden Szenen ist es fast erstaunlich, wie souverän Regisseurin Dagmar Seume die tragikomische Gratwanderung gelingt: Bei aller Dramatik ist der Tonfall des Films doch von heiterer Gelassenheit, zumal viele Situationen schlicht komisch sind.
Auch in dieser Hinsicht hat sich Autorin Beatrice Meier gerade für Gruber einige schöne Szenen ausgedacht. Nun sei sie auch "Essen auf Rädern", stellt sie irgendwann fest, und bezieht sich damit auf einen Witz, den Harry an einem idyllischen gemeinsamen Tag am See zum Besten gegeben hatte: So bezeichnen Kannibalen Rollstuhlfahrer.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Mindestens so reizvoll wie die Geschichte ist allerdings die Zusammenstellung des vorzüglichen Ensembles. Auch diese Herausforderung galt es zu meistern: Die fünf Hauptdarsteller mussten einerseits gut zusammenpassen, andererseits aber auch glaubhaft auf Distanz zueinander gehen können. Der sensible Eckart zum Beispiel kommt zunächst überhaupt nicht mit dem pragmatischen Harry klar. Der wiederum zieht irgendwann die Konsequenzen und verlässt die WG, weil die Verantwortung für Uschi in jeder Hinsicht zu schwer wiegt. Darüber hinaus ergänzt Meier den Handlungskern immer wieder um liebenswerte Nebengeschichten; so kommt beispielsweise Ricardas Tochter Stella (Lilia Lehner) einfach nicht dazu, ihrer vielbeschäftigten Mutter zu erzählen, dass sie schwanger ist, aber keine gemeinsame Zukunft mit dem Kindsvater sieht. Zum Ausgleich darf sie sich in Uschis Physiotherapeuten verlieben. Ein sehenswertes Drama, das gleichzeitig zum Lachen und zum Heulen ist und geradezu sinnbildlich für den grundlegenden Wandel des Freitagsfilms im "Ersten" steht.